Sprachbarrieren
Die Entwicklung der Sprache ist die vielleicht außergewöhnlichste Kulturleistung des Menschen. Die Fähigkeit zu sprechen gibt uns die Möglichkeit, etwas zu beschreiben, was noch nicht eingetroffen ist. Oder über etwas zu reden, das in der Vergangenheit passiert ist. Indem ich spreche, denke ich über etwas nach. Ich weiß, das ist schwer nachzuvollziehen, wenn man in eine deutsche Polit-Talkshow reinzappt.
Trotzdem steht fest: Ohne Sprache hätten wir niemals komplexe Gesellschaften entwickeln können. Unsere gesamte moderne Kultur basiert auf der Fähigkeit zu kommunizieren. Primaten betreiben Fellpflege, um soziale Bindungen zu festigen, bei uns Menschen dient Sprache als soziales Bindemittel. Sie erlaubt es den Menschen, Netzwerke zu knüpfen, Aktionen zu koordinieren und Beziehungen aufzubauen. Mit Worten wecken wir Sehnsüchte, lindern Ängste oder bringen die Leute zum Lachen.
Worte können Revolutionen auslösen oder ganze Völker miteinander versöhnen: I have a dream; Wir sind das Volk; Ich bin ein Berliner; Senk you for träwelling wiss Deutsche Bahn.
Vince Ebert
Ich habe das letzte Jahr in New York verbracht. Unter anderem auch deshalb, weil ich die englische Sprache besser lernen wollte. Noch vor wenigen Jahren hat es mich nämlich große Überwindung gekostet, Englisch zu sprechen. Im Gegensatz zu meiner Frau, die Englisch fast wie ihre Muttersprache spricht. Bei jeder Party erstarrte ich zur Salzsäule, sobald dort ein Kanadier, ein Brite oder ein Amerikaner auftauchte. Schweißgebadet stand ich dann in der Runde und warf hilflos Sachen wie „Really?“ oder „Of course!“ in die Konversation. Stets in der Panik, vom Gegenüber eine Frage gestellt zu bekommen, die man nicht mit „Yes“ oder „No“ beantworten konnte.
“Hey Vince, tell me a little about yourself …”
“Ähm… No.”
Hinweis
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Wenn man eine Sprache nicht von Geburt an gelernt hat, schleichen sich zwangsläufig immer wieder kleinere Fehler ein. Als ich einmal einen Kellner fragte „Where’s the toilet?“, grinste der nur und antwortete: „I guess it’s in the bathroom.“ Nachdem ich vom bathroom zurückkam, fragte er mich: „What do you do for a living?“, und ich konterte mit: „I work!“
Nach einiger Zeit in den USA fiel es mir zunehmend leichter, mit Amerikanern zu plaudern. Zumindest die ersten zehn Minuten. Wenn der Kopf noch frisch ist. Irgendwann aber sucht man verzweifelt nach Worten und Formulierungen und wird dabei immer stiller und stiller. Zu meiner großen Überraschung kam mein Schweigen wahnsinnig gut an. Nach Abendeinladungen haben die Leute regelmäßig meiner Frau vorgeschwärmt: „Vince is such a good listener!“ Und meine Frau nur: „Yes, because he has no idea what the hell you were talking about …”
Früher oder später aber hast du den Dreh raus. Du bekommst alles mit, kannst spontan auf Dinge reagieren. Und dann plötzlich triffst du auf einen Texaner. Phonetisch betrachtet sind Texaner ja die Niederbayern der USA. Man versteht sie nur, wenn man bereits in der siebenten Generation in Dallas lebt. Noch schlimmer sind nur die Schotten. Einmal erzählte mir ein New Yorker, dessen Familie aus Edinburgh stammte, zwanzig Minuten lang, wie seine Vorfahren nach Amerika kamen. Am Ende stellte sich heraus, dass er die ganze Zeit über das letzte Spiel der Yankees redete. Linguisten glauben, der harte schottische Akzent ist entstanden, weil die trunksüchtigen Schotten es vermeiden wollten, sich zu erbrechen.
Sprachen transportieren nicht nur Worte, sondern auch Stimmungen und Emotionen. Es kommt nicht nur darauf an, was man sagt, sondern eben auch, wie man es sagt. Doch auch das ist in jeder Sprache anders. Koreanisch zum Beispiel klingt für Nicht-Koreaner total aggressiv. Wenn ein Koreaner in einen Laden kommt und „Guten Tag“ sagt, dann hört sich das so an, als wolle er das Geschäft überfallen. Die Sprachmelodie von Vietnamesisch ist dagegen wesentlich weicher. Ein bisschen wie Koreanisch auf Dope. Französisch klingt romantisch, Russisch hört sich an, als ob man eine Langspielplatte rückwärts abspielen würde.
Womit ich mich auch nach Monaten in den USA immer noch schwertue, sind die richtigen Präpositionen. Zum Beispiel fliegt man nicht to New York, man fliegt into New York. Was nach 9/11 etwas makaber klingt. Man fährt auch nicht in the subway sondern on the subway. Und das, obwohl ich noch nie jemanden auf dem Zugdach gesehen habe.
Wobei ich zugeben muss:
Was komplizierte und unlogische Grammatik angeht, sind wir Deutschen eindeutig Weltmarktführer. Im Deutschen hat das Wort ‚Mädchen‘ kein Geschlecht, das Wort ‚Rübe‘ aber schon.
Vince Ebert
Wenn Sie einem Amerikaner erklären, dass es bei uns zweiunddreißig unterschiedliche Adjektivendungen und sechzehn verschiedene Möglichkeiten gibt „the“ zu sagen, dreht der durch. „Wie können wir Deutschen die Flüchtlinge besser integrieren?“, wird oft gefragt. Ich hätte eine Idee: Lasst uns Dativ und Genitiv abschaffen!
Wie wir Sprachen lernen – und wie nicht
Das wirklich Erstaunliche ist: Wenn man eine Sprache von Geburt an lernt, fällt einem diese Unlogik gar nicht auf. Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir erst mal sprachlos. In den ersten achtzehn Monaten haben wir einen aktiven Sprachschatz von fünfzig Wörtern und können über hundert Wörter verstehen. Mit drei Jahren haben wir schon über tausend Wörter parat. Mit sechs Jahren besitzen wir ein Vokabular von sechstausend unterschiedlichen Begriffen. Das heißt, wir haben bis zu diesem Zeitpunkt drei neue Worte pro Tag gelernt. Und nicht zu vergessen: die Grammatik noch mit dazu! Und das, ohne uns groß anzustrengen. Fragen Sie einen Fünfjährigen mal, ob er weiß, dass bei Verben, die auf „-ieren“ enden, das Partizip Perfekt ohne „ge-“ gebildet wird. Wir sind gelaufen, aber nicht ge-spaziert. Von dieser Regel hat er keine Ahnung, verwendet sie aber trotzdem intuitiv.
Im Erwachsenenalter eine neue Sprache zu lernen ist bekanntlich ungleich schwerer. Erst recht, wenn man – wie ich – kein besonderes Sprachtalent besitzt. Ich habe auch jahrelang geglaubt, dass Lugano, Lausanne und Luzern dieselbe Stadt ist – nur eben auf Italienisch, Französisch und Schweizerdeutsch. Zum Schluss deshalb noch ein kleiner Witz: Ein Schweizer in den USA hat sich verlaufen und spricht zwei Amerikaner an, um zu fragen, wo sich sein Hotel befindet. Erst auf Rätoromanisch, dann Deutsch, Italienisch und schließlich Französisch. In allen Fällen verstehen die Amerikaner nur Bahnhof. Nachdem der Schweizer verzweifelt weitergeht, sagt der eine Amerikaner zum anderen: „Vielleicht wäre es doch nicht so schlecht, eine zweite Sprache zu lernen.“ Sagt der andere: „Warum? Der Typ hat vier gesprochen, aber: Hat es ihm was genützt …?“
Vince Ebert ist Diplom-Physiker, Wissenschaftskabarettist und Bestsellerautor. Sein Anliegen ist die Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge mit den Gesetzen des Humors. Seit 2004 ist er erfolgreich auf deutschsprachigen Bühnen unterwegs, ab Herbst 2020 mit seinem neuen Programm „Make Science Great Again!“ (Tickets & mehr…). Seine Bücher verkauften sich über eine halbe Million Mal und standen monatelang auf den Bestellerlisten. In der ARD moderiert er regelmäßig die Sendung „Wissen vor acht – Werkstatt“.
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Foto: Frank Eidel