Kann das weg?
Eine Zusammenfassung ist nie das Buch selbst. Sie fasst zusammen – und hoffentlich so, dass der Leser auch verstehen kann, was er liest. Unsereiner, als Bücherkomprimierer, nimmt also nicht einfach jedes 37. Wort, wenn er 185 Seiten auf fünf Seiten eindampfen will. Vielmehr wählt er Schlüsselgedanken, wichtige Argumentationsketten und passende Beispiele aus, gibt sie so knapp wie möglich wieder und versucht, sie in einen nachvollziehbaren Zusammenhang zu bringen.
Das bedeutet zwangsläufig, dass andere Gedankengänge unter den Tisch fallen. Wenn ein Buch zwölf wichtige Punkte enthält, von denen nur vier in der Zusammenfassung Platz finden, dann müssen leider acht unerwähnt bleiben. Sie stichwortartig zu nennen ohne sie zu erläutern würde nur Verwirrung stiften und sollte daher unterbleiben.
Das Buch Boost! des Sportpsychologen Michael Bar-Eli etwa steckt voller Beispiele aus dem Leistungssport, von denen Führungskräfte eine Menge lernen können. Ich kann im Abstract aber nur wenige davon übernehmen. In diesem Fall entschied ich mich z.B. für die beiden Elfmeter im WM-Endspiel 1974 zwischen Deutschland und den Niederlanden, das die Nerven des kleinen Jungen, der ich damals war, arg strapazierte.
Aber: Warum? Natürlich bemühen wir Autoren uns, die Auswahl so sinnvoll und aussägekräftig wie möglich zu gestalten – und dafür gibt es keine Blaupause, es muss von Fall zu Fall neu entschieden werden. Hier bietet sich die Sprache als Kriterium an und ich bevorzuge Fallbeispiele, mit denen deutschsprachige Leser besonders viel anfangen können sollten.
Gleichwohl hat jeder Abstract-Autor einen individuellen fachlichen Hintergrund, andere Erfahrungen und ein eigenes Weltbild. Jeder von uns verfügt somit über einen eigenen, subjektiven Filter. Abstracts sind, mindestens was die Auswahl des Gekürzten angeht, also immer subjektiv, auch wenn sie nach dem eigentlichen Schreiben durch die Hände mehrerer Redakteure und Korrekturleser gehen, die natürlich besonderes Augenmerk auf etwas anderes legen: Die Nennung der wichtigsten Schlüsselgedanken und ihre sachlich-logische Verknüpfung. Zwar ringe ich als Autor um eine objektive Darstellung, aber es ist bis zur Abschlussredaktion eben stets nur meine persönliche Objektivität. Dass diese hin und wieder von den Kollegen in Luzern auf die Probe gestellt wird, tut der Zusammenfassung nur gut, gibt ihr den letzten Schliff.
Damit ist die Sache aber noch nicht abgehakt. Denn nun gehen auch Sie als Leserinnen und Leser mit Ihren eigenen Erfahrungen und Informationsbedürfnissen an das Abstract heran. Eine wirklich „runde Sache“ wird das Ganze erst, wenn Inhalt, Zusammenfassung und Ihre Erwartungen irgendwie in Einklang gebracht wurden.
Aufschluss darüber, wie erfolgreich wir sind, geben uns die Kunden, nicht zuletzt über von ihnen verfasste Kommentare. Die meisten dieser Kommentare unter den Abstracts in unserer Bibliothek sind positiv, was mich natürlich freut. Es ist aber aus oben genannten Gründen nie auszuschließen, dass der Abstract-Autor – so wie ich – ohne böse Absicht einen Aspekt weggelassen hat, der gerade für Sie besonders wichtig ist, weil ausgerechnet dieses eine Thema in Ihrem Berufsalltag unter den Nägeln brennt. Manchmal hilft eben nur … das Buch selbst.
Sie sehen, liebe Leserin, lieber Leser: Es kann, wenn man es gern vollständig hat, durchaus nützlich sein, vom Abstract angeregt tatsächlich das zugrundeliegende Werk zu lesen. Dann ist es ganz an Ihnen, das Nützliche zu behalten und den Rest unter den Tisch fallen zu lassen.
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