Folge 10: Wie man ein neues Team führt
Erwartungsvoll schaut Nina zu der Tür des Cafés. Zola und sie haben schon lange nicht mehr die Zeit gefunden, sich länger zu unterhalten. Dabei hat Nina zu ihrer neun Jahre älteren Stiefschwester immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Auch als diese auf der Karriereleiter weiter vorankam, als Nina es je gewollt – oder gekonnt – hätte, ist Nina nie eifersüchtig gewesen, sie hat Zola dafür vielmehr bewundert. Umso erstaunter ist Nina daher, dass Zola, nachdem sie endlich eingetroffen ist und nach kurzen Updates über die wichtigsten Familienangelegenheiten, bestimmt das Thema wechselt: „Nina, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe seit ein paar Wochen ein komplett neues Team übernommen. Ich war noch nie für so viele Menschen verantwortlich. Abläufe zu managen, darin bin ich gut, sehr gut sogar. Aber mit Menschen, das ist was anderes.“ Zola erzählt, dass sie immer zwischen Führungsstilen hin- und herschwankt: Mal hat sie das Gefühl, standhaft und entschlossen bleiben zu müssen, um Orientierung zu geben. Dann wieder meint sie, Mitarbeiter ermutigen zu müssen, sie nicht kritisieren zu dürfen, damit sie sich ihr auch anvertrauen. „Aber ehrlich, Nina, irgendwie habe ich immer das Gefühl, ich entscheide mich falsch. Soll ich die sein, die nach der Arbeit mit einen trinken geht? Oder die, die gnädig darüber hinwegsieht?“
Dass Zola in beiden Extremen der Führung – dem einer distanzierten, autoritären Chefin und dem einer nahbaren, lockeren Freundin – etwas Sinnvolles sieht, liegt in der veränderten Natur der Führungsrolle, meint Peter Becker:
Es geht nicht nur darum, eine gewisse Führungseigenschaft zu haben oder nicht. Vielmehr geht es um die Frage, ob ich die Stärke zur richtigen Zeit angemessen leben kann. Sich in diesen Führungsrollen bewegen zu können, ist eine Kunst, die man lernen kann: „Führungsvielseitigkeit“ oder „Leadership Versatility“ (LV).
Peter Becker
Das heißt also, man muss nicht immer Druck machen, Autorität und Einfluss ausüben oder Position beziehen – aber manchmal durchaus. Und den einen richtigen Führungsstil gibt es nicht. Was also ist der Maßstab bei Entscheidungen, die man als Führungskraft zu treffen hat? Menschlichkeit. Mehr denn je und in jeder Hinsicht. Dafür plädiert Becker in:
Eine zeitgemäße Führung bedeutet, Mitarbeiter als menschliche Individuen wahrzunehmen und selbst ein solches zu sein. Das heißt, dass man seine Energie nicht darauf verwenden sollte, Führungsprinzipien nachzueifern – sondern darauf, sich als Mensch regelmäßig zu hinterfragen und weiterzuentwickeln:
Was wir (wieder) lernen müssen, ist, miteinander ehrlich und authentisch zu sprechen und zuzuhören – und dabei Ablehnung und Verletzbarkeit zu riskieren.
Peter Becker
Wer Menschlichkeit an den Tag legt, zeigt sich also durchaus mal verletzlich und fehlbar – das ist der schnellste Weg, das Vertrauen seiner Mitarbeiter zu gewinnen. Und Vertrauen, meint Becker, ist grundlegend, wenn Fehlentscheidungen verziehen und die Extrameile in Kauf genommen werden sollen. In Zeiten, in denen Krisen – insbesondere emotionale Krisen – mehr die Regel als die Ausnahme sind, sind Führungskräfte auf eine stabile Bindung ihrer Mitarbeiter angewiesen. Und die wiederum auf eine Führungskraft, die jede Situation neu zu bewerten bereit ist und ehrliches Interesse an den Menschen in ihrem Team hat.
Zola sieht nicht gerade begeistert aus, als Nina ihre Ausführungen beendet hat. „Kann ich nicht einfach eine Runde Bier ausgeben und dann verschwinden?“ Nina lacht: „Becker meint, dass es nur was bringt, wenn du dich wirklich darauf einlässt – auch wenn dir das widerspricht. Ihr müsst euch ja nicht eure intimsten Geheimnisse erzählen. Aber du solltest schon bereit sein, dich als die Person zu zeigen, die du bist. Und dich dann halt eben auch der Kritik zu stellen.“ Zola nickt langsam. „Und wenn du dich fragst, warum du das tun solltest, denk daran:
Mitarbeiter verlassen Vorgesetzte, nicht das Unternehmen.
Peter Becker