Wie sicher kann man sein?

Gute Zusammenarbeit basiert nicht auf totaler Harmonie, die ist oft genug eher hinderlich. Wenn die Basis stimmt, braucht es vor allem Mut, den anderen auch mal zu hinterfragen.

Regelmäßig kommt die Frage auf, ob es eine Art „Superpower“ für ein Team gibt. Also eine Art Turboantrieb für eine effiziente und erfolgreiche Zusammenarbeit. Da Zusammenarbeit mein tägliches Brot ist, gehört diese Frage zum Alltag. Und sie beschäftigt nicht nur mich, auch Google hat sich auf die Suche nach einer Antwort gemacht und – Applaus (!!!) – auch gefunden. Es ist die Psychologische Sicherheit, die Teams erfolgreich macht.

Kommen wir also zur großen Frage: Was bedeutet Psychologische Sicherheit? Wann immer ich dieses Thema in unseren Workshops oder bei Vorträgen anspreche, hat jede*r eine andere Idee im Kopf. Durch viele Gespräche hierzu habe ich gelernt, dass sehr viele Menschen die Psychologische Sicherheit mit Harmonie gleichsetzen. Und das ist total falsch. Es ist sogar fast gegenteilig: Psychologische Sicherheit hat rein gar nichts mit Harmonie (oder noch schlimmer) mit künstlicher Harmonie zu tun. Denn in einem psychologisch sicheren Team werden sowohl angenehme wie auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen, ohne dass jemand fürchtet, dafür ausgelacht oder bestraft zu werden. Man kann also Risiken eingehen, widersprechen, seine Meinung sagen – egal welche hierarchische Ebene gerade anwesend ist. Das ist nicht immer schön. Das ist sogar ab und an sehr unschön.

Auch in unserem Team haben wir manchmal die Tendenz, uns sehr vorsichtig anzufassen und Kritik sehr weichzuspülen. Und manchmal genieße ich das sogar, dass wir alle in fröhlicher Harmonie miteinander arbeiten und keine Probleme wälzen müssen. So wie neulich. Ich habe meinem Team ein Evaluationskonzept vorgestellt. Daran habe ich Monate mit einer externen Evaluatorin gearbeitet und fand es großartig. Einige im Team fanden das weniger, besonders Kerstin, die von meinem wunderbaren Konzept so überhaupt nicht überzeugt war. Sie hatte gleich 20 Ideen zur Verbesserung und Verweise auf alternative Evaluationskonzepte. Es sprudelte förmlich aus ihr heraus, was auch den Rest des Teams dazu animierte, ebenfalls Ideen einzubringen.

Und ich? Ich war totbeleidigt! Monatelange Arbeit und dann sowas! Hätten sie es doch gleich selbst machen können, aber es ist ja bequemer, die Konzepte von anderen zu kritisieren als selbst aktiv zu werden. Was glaubten die eigentlich, wer sie sind?! Jaja, ich weiß: schlimme Gedanken.

Dann habe ich mich an unser Bio-Sharing erinnert, in dem Kerstin über sich gesagt hat, dass sie selten Dinge so akzeptiert, wie sie sind – sie ist eine Perfektionistin. Ganz im Gegensatz zu mir – ich liebe die 80/20 Regel und mache selten mehr als 80 Prozent. Wir waren uns nach dem Austausch damals einig, dass wir unsere Unterschiede nutzen und sie als Bereicherung sehen wollten. Jetzt war die Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen. Aber Mann fiel mir das schwer!

Mit ein bisschen Abstand konnte ich dann aber sehen, welchen Gefallen Kerstin mir und unserem Team getan hatte:  Schon mehrfach habe ich von meinem Team die Rückmeldung bekommen, dass ich als Gründerin eine Sonderrolle einnehmen und deshalb meine Meinung häufig stärker respektiert und akzeptiert würde als die der anderen. Und gerade aus diesem Grund habe ich es Kerstin besonders hoch angerechnet, dass sie mein Konzept so offen und ehrlich hinterfragt hatte. Selbstbewusst verlangte sie, dass ich ihr erkläre, warum ich das gerade so und nicht anders evaluieren wollte. Und die anderen Kolleg*innen konnten gut beobachten, wie ich ins Schwitzen kam, weil ich mir viele von Kerstins Fragen überhaupt nicht gestellt hatte. Interessant war für mich, dass ich zu jedem Zeitpunkt 100-prozentig sicher war, dass es Kerstin um die Sache ging und nicht darum, mich zu kritisieren oder vor den anderen bloß zu stellen. Wir haben uns eine Woche später dann als Dreier-Team ausgetauscht – Kerstin, unserer Evaluatorin und ich – und am Konzept weitergearbeitet. Und – was soll ich sagen – es wurde besser. Deutlich besser.

Wenn ich jetzt an die vielen Teams denke, die mir immer wieder begegnen, muss ich sagen, dass mit Blick auf die Psychologische Sicherheit bei fast allen noch gewaltig Luft nach oben ist. In den meisten Teams schauen mich die Menschen bereits völlig panisch an, wenn ich darum bitte, dass sie sich gegenseitig Feedback geben – selbst wenn es ausschließlich positives sein soll.

Es gibt ein paar Klassiker, die die psychologische Sicherheit zerstören:

  • Es wird übereinander, statt miteinander gesprochen.
  • Tiefe Verletzungen werden über Jahre gepflegt, statt sie zu äußern und somit eine Versöhnung zu ermöglichen.
  • Widerspruch gegen Ideen und geplante Änderungen werden nicht offen in der Gruppe geäußert, sondern meistens nach einer Besprechung im kleinen Kreis angesprochen.

Kommt Ihnen etwas davon bekannt vor? Das könnte helfen:

#Feedbackkarte

Zum Üben von Feedback und auch ein bisschen zur Desensibilisierung empfehlen wir unsere #workhack-Feedbackkarte. Das ist eine physische oder auch digitale Karte, die Sie einmal im Quartal an zwei Personen Ihrer Wahl geben. Damit verbunden ist die Bitte um Feedback. Die andere Person, der Feedback-Geber, schreibt in den nächsten Tagen einige Stichpunkte auf die Karte. Danach wird ein gemeinsamer Termin organisiert und das Feedback besprochen. Das kann auch in einem informellen Rahmen wie z.B. bei einem Mittagessen stattfinden. Auf der Feedback-Karte stehen Regeln für den Feedback-Geber und den Feedback-Nehmer, die vom gesamten Team im Vorfeld selbst entwickelt werden. Wichtig: Vergabe und Befüllen der Karte sind freiwillig – niemand muss Feedback wollen oder verteilen.

Hey, Lydia!
Das bin ich. Meine Passion ist das „Hacking“: mit kleinen Tricks und Kniffen eine möglichst große Wirkung erzeugen. Und in dieser Kolumne gebe ich einmal im Monat Auskunft über die neusten Zugänge meiner Workhacks-Bibliothek. Feedbacks zur Nützlichkeit gern unmittelbar an: ls@workhacks.de

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