Walfang in Nebraska
Es ist mitunter schwierig, die Gepflogenheiten einer fremden Kultur zu verstehen. Die Begeisterung vieler Amerikaner, eine Waffe zu besitzen, kommt uns Deutschen grotesk vor. Ebenso die uramerikanische Angst vor nicht-pasteurisierter Milch. Sie können in Alaska problemlos mit einer AK 47 im Anschlag herumlaufen, aber versuchen Sie bloß nicht, ein Stück französischen Brie über die kanadisch-amerikanische Grenze zu schmuggeln. „Sir! This piece of cheese is very dangerous!“, heißt es dann. Und da bringt es auch nichts, wenn Sie dem Zöllner erklären: „Sir! Nicht Käse tötet Menschen. Menschen töten Menschen …“
Als EU-Bürger denken wir ja gerne, wir seien die ungekrönten Könige von bizarren Gesetzen und unsinnigen Verordnungen. Zum Beispiel muss Waldhonig laut EU eine elektrische Leitfähigkeit von 0,8 Mikrosiemens pro Zentimeter besitzen.
In der EU-Schnullerhalter-Norm wird auf zweiundfünfzig Seiten in acht Kapiteln mit vierzig Unterpunkten alles Erforderliche zu ‚Werkstoffen, Bau, Ausführung, Verpackung und Kennzeichnung‘ einer Schnullerkette festgelegt.
Vince Ebert
Brüssel bestimmt, wie viel Wasser durch einen Duschkopf rauschen darf und wie groß der Abstand zwischen zwei Grillstäben sein muss. Rund 21.000 Richtlinien erklären uns genau, wie man eine Leiter aufzustellen hat, ob man in einem Schaltjahr auch Automatik fahren darf oder dass der „Kothaufen eines Hundes eine selbstständig bewegliche Sache ist, die durch das Vermischen mit dem Wiesengrundstück nicht automatisch in das Eigentum des Wiesengrundbesitzers übergeht.“ Nur für den Fall, dass Sie das noch nicht gewusst haben.
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Ein Apparat mit 25.000 Mitarbeitern kann offensichtlich ziemlich viel Eigendynamik entwickeln. Das erkannte der britische Soziologe Cyril Northcote Parkinson bereits im Jahre 1955 und formulierte das nach ihm benannte Parkinsonsche Gesetz: „In jedem öffentlichen Verwaltungsapparat, der sich nicht gerade im Kriegszustand befindet, vermehrt sich der Angestelltenstab pro Jahr zwischen fünf und sechs Prozent. Und zwar völlig unabhängig von der vorliegenden Arbeitsmenge und den zu lösenden Problemen.“
Dabei weiß man, dass die Größe eines Teams maßgeblichen Einfluss auf den Output hat:
Vor einigen Jahren untersuchte eine Arbeitsgruppe der Universität Wien die Kabinettgrößen von fast zweihundert Ländern und kam zu einem erwartbaren Ergebnis: Wachsende Kabinettgrößen korrelieren stark mit einem Rückgang von Wohlstand und Bildung in dem jeweiligen Land. Je mehr Politiker ihren Senf dazugeben, desto handlungsunfähiger wird das System.
Der Anthropologe Robin Dunbar erforscht seit zwanzig Jahren menschliche Netzwerke und fand heraus, dass Kooperation bei bis zu einhundertfünfzig Individuen einigermaßen gut funktioniert. Das lässt sich sogar geschichtlich belegen: Steinzeitdörfer hatten einhundertzwanzig bis einhundertfünfzig Bewohner, ein römisches Heer bestand aus Kompanien von einhundertsechzig Soldaten, und Gemeinden der Amish People umfassen nicht mehr als einhundertfünfzig Mitglieder. Sobald die Gruppe sich vergrößert, teilen sie sich in zwei neue Gemeinden auf. Auch bei Facebook und Twitter lässt sich eine Obergrenze beobachten: Durchschnittlich liegt die Zahl zwischen hundert und zweihundertfünfzig Freunden. Die aber komischerweise nie auftauchen, wenn man ein Klavier in den fünften Stock tragen muss.
Inzwischen hat Dunbar nachgebessert und auf einhundertachtzig erhöht. Doch sobald diese magische „Dunbar-Zahl“ überschritten wird, fällt es uns immer schwerer, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Es kostet schlichtweg zu viel Energie, um die vielfältigen Beziehungen pflegen zu können, und unser Gehirn ist nicht mehr in der Lage, die vielen Interaktionen zu verarbeiten.
Das größte Problem mit Bürokratien ist ihre Ineffizienz. Kann mir zum Beispiel jemand mal erklären, warum jeder Deutsche eine elfstellige Steuernummer bekommt? Bei zweiundachtzig Millionen Deutschen hätte es eine achtstellige auch getan. Aber wer weiß, vielleicht schwillt ja das Volk in den nächsten Jahren auf einhundert Milliarden Menschen an, und dann wäre das Finanzamt mit einer achtstelligen Zahl der Gelackmeierte.
Dabei beschließen Bürokraten nicht deswegen so sinnlose und zeitraubende Verordnungen und Richtlinien, weil sie unintelligent oder gar boshaft wären, sondern weil sie selbst die Konsequenzen ihrer Beschlüsse nicht spüren. Das ist selbstverständlich auch in Amerika nicht anders. Dort ist der Wahnsinn sogar von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich.
In Illinois zum Beispiel ist es verboten in einem brennenden Restaurant zu Abend zu essen. Das sollten Sie auf jeden Fall bedenken, wenn Sie mal in Chicago sind. Buchen Sie dort niemals einen Tisch, der in Flammen steht. Es ist gegen das Gesetz.
Vince Ebert
In Connorsville/Wisconsin dürfen Männer ihr Gewehr nicht abfeuern, während die Partnerin einen Orgasmus bekommt. Und „Gewehr abfeuern“ ist definitiv keine Metapher.
Mein Lieblings-Bürokratie-Staat ist allerdings Nebraska. Dort ist es Friseuren nicht gestattet, zwischen sieben und neunzehn Uhr Zwiebeln zu verzehren. Warum, weiß kein Mensch. Auch Walfang ist in Nebraska streng verboten. Was total Sinn macht, denn Nebraska ist ein Binnenstaat – die haben gar keinen Meerzugang. Aber sollte dort irgendwann ein Sea World eröffnen, ist es den Touristen zumindest schon mal verboten, von den Tribünen aus die Orcas abzuknallen.
Man muss nun der Fairness halber erwähnen, dass Nebraska ursprünglich von deutschen Einwanderern kolonialisiert wurde. Es waren also unsere Vorfahren, die dort diese sinnlosen Gesetze eingeführt haben. So schließt sich der Kreis.
Vince Ebert ist Diplom-Physiker, Wissenschaftskabarettist und Bestsellerautor. Sein Anliegen ist die Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge mit den Gesetzen des Humors. Seit 2004 ist er erfolgreich auf deutschsprachigen Bühnen unterwegs, aktuell mit seinem neuen Programm „Make Science Great Again!“ (Tickets & mehr…). Seine Bücher verkauften sich über eine halbe Million Mal und standen monatelang auf den Bestellerlisten. In der ARD moderiert er regelmäßig die Sendung „Wissen vor acht – Werkstatt“.
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Foto: Frank Eidel