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„Nachhaltigkeit hat ein Imageproblem.“

Viele Unternehmen setzen im Marketing für ihre nachhaltigen Angebote auf die falschen Strategien – was dazu führt, dass großartige Produkte Ladenhüter bleiben. Welche Denkfehler dahinterstecken und wie es besser geht, erklären Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann.

„Nachhaltigkeit hat ein Imageproblem.“

Johanna und Jan, wie seid ihr dazu gekommen, gemeinsam ein Buch über Nachhaltigkeit im Marketing zu schreiben?

Johanna Gollnhofer: Jan und ich haben uns auf einer Veranstaltung in der Schweiz kennengelernt, wo wir nacheinander eine Keynote gehalten haben – ich mit meinen wissenschaftlichen Slides, die ich trotzdem noch ganz anschaulich fand, und Jan natürlich mit seinen schönen, kreativen Slides. (Lacht.) Nach dem Vortrag haben wir dann beide gemerkt, dass wir in eine relativ ähnliche Richtung denken, und zwar: Verdammt, diese ganze nachhaltige Bewegung, besonders nachhaltige Produkte, die hängen irgendwie noch in einer Nische. Konsumenten greifen gar nicht so begeistert dazu, wie wir uns das wünschen würden.

In der Theorie klingt das immer ganz schön: Menschen wollen nachhaltige Produkte und sind bereit, mehr dafür zu zahlen. Doch so einfach ist es leider nicht.

Jan und ich mussten das beide schon oft Managern erklären. Und so führte eins zum anderen, wir haben uns auf einen digitalen Kaffee getroffen und festgestellt, dass wir aus unseren Gedanken und Erfahrungen ja gemeinsam ein Buch machen könnten.

Jan Pechmann: Genau – und ich glaube, was auch so ein bisschen den Charme unserer Kombi ausmacht, ist dieses „Wissenschaft meets Praxis“. Wissenschaftliche Belege sind ja auch handlungsleitend und im Management gerne gehört. Aber man kommt schnell zu der Frage: Wie soll das konkret umgesetzt werden? Du hast aber auch umgekehrt in der Praxis zum Teil Fälle, wo du erstaunt bist, dass etwas funktioniert, und gar nicht genau sagen kannst, warum. Dort kommen eben beide Expertisen zusammen.

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Zusammenfassung (Buch)

Das 60%-Potenzial

Nachhaltigkeit muss endlich cool werden. So gehtʼs.

Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann Campus
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Johanna, du hast eben schon erwähnt, dass bei grünen Produkten noch viele Fehlannahmen herrschen. Eigentlich scheint die breite Masse ja doch ein gewisses Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu haben – und trotzdem bleiben viele grüne Produkte Ladenhüter. Woran liegt das?

Gollnhofer: Aus wissenschaftlicher Sicht kann man das relativ einfach erklären. Es nennt sich „Attitude-Behavior-Gap“ und bezeichnet den Unterschied zwischen der Einstellung von Menschen und ihrem tatsächlichen Verhalten. Und deswegen schlagen wir eine neue Marktsegmentierung vor. Denn wir haben oft gesehen, dass Unternehmen aus Marktforschungsstudien, in denen zum Beispiel steht: „65 Prozent der Menschen finden Nachhaltigkeit gut“, schließen: Ah ja, sie finden Nachhaltigkeit gut, deswegen werden sie auch unsere nachhaltigen Produkte kaufen. Und das ist zu kurz gedacht.

Pechmann: Dass grüne Produkte Ladenhüter bleiben, liegt am Attitude-Behavior-Gap, an der falschen Zielgruppe, aber in der finalen Umsetzung auch an der falschen Kommunikation und an der falschen Ansprache. Im Buch sprechen wir hierbei von der „Ökofalle“: Die Leute denken, ihre Produkte müssten so aussehen wie in den Achtzigern im Reformhaus, um irgendwie glaubhaft nachhaltig zu wirken, und wenn du auf die Ökofans guckst, mag das vielleicht sogar stimmen. Aber in der breiten Masse eben gerade nicht. Das heißt, wenn deine Kommunikation farblich, aber vor allem auch in den Aussagen zu stereotyp nachhaltig ist, dann schadest du dir eher. Das meinen wir auch, wenn wir im Buch von Reframing sprechen: Man muss Nachhaltigkeit heutzutage als was richtig Geiles vermarkten, man muss Bock auf diesen Lifestyle machen und dabei diese Schwere rausnehmen, die man bei dem Thema oft hat.

Du sprichst von der „breiten Masse“ – sind das die 60 Prozent?

Gollnhofer: Genau. Es gibt einen gewissen Marktanteil, das sind die Ökofans. Denen ist Nachhaltigkeit wichtig, die kaufen auch wirklich viele grüne Produkte. Auf der anderen Seite gibt es die Ökomuffel, denen das sowieso zu woke oder einfach egal ist. Die zu überzeugen ist wahnsinnig schwer. Aber dann gibt es eben noch die in der Mitte – und das sind die 60 Prozent. Die sagen: Nachhaltigkeit ist mir wichtig, ABER: zu teuer, schmeckt mir nicht, färbt ab, nicht meine Lieblingsmarke, nicht in meiner Nähe usw. Und genau an die müssen wir ran. Das war uns ein Anliegen, dass wir wegkommen von der Nische, in der wir uns immer im Kreis drehen, uns selbst darin bestätigen, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Wir alle drei hier würden wohl sofort mehr für nachhaltige Produkte zahlen, aber wenn ich zum Beispiel meinen Partner frage: „Na Schatzi, essen wir heute vegan?“, fängt seine Kinnlade bisschen an zu zittern und Begeisterung sieht anders aus.

Und genau das muss der Fokus sein: Weg von der Ökonische und ran an den Mainstream.

Wenn man Marketing und Nachhaltigkeit hört, passt das ja erst mal nicht wirklich zusammen: Das eine will mehr bzw. besser verkaufen, das andere idealerweise weniger Konsum.

Gollnhofer: Spannend, dass du das sagst. Ich finde eigentlich, dass wir mit die Ersten sind, die diesen Claim machen. Denn in ganz vielen Büchern zu nachhaltigem Marketing wird immer gesagt, das sei ja ganz einfach, weil Menschen ja nachhaltige Produkte wollen. Wie schwierig das sein kann, wird da tatsächlich weniger behandelt. Wir haben diese Schwierigkeiten genauer analysiert, und was man schon gesehen hat, war, dass Marketing und Nachhaltigkeit oft mit Greenwashing verbunden wird.

Zu Recht?

Gollnhofer: Ich finde das ist eine sehr negative Wahrnehmung. Marketing ist nicht einfach nur, das Produkt grün zu machen und eine höhere Zahlungsbereitschaft abzugreifen. Vielmehr hat Marketing ein enormes Potenzial, denn:

Marketing hat schon immer verstanden, Leute mitzunehmen und zu begeistern. Wieso haben wir das bei grünen Produkten irgendwie vergessen?

Etwas plakativ gesprochen: Die grünen Produkte kommen in diesem Ökobraun, kosten mehr, dann wird einem noch gesagt, man soll die Welt retten – und gleichzeitig muss man 15 Minuten fahren, um das Produkt zu kaufen. Das ist eigentlich nicht das, was Marketing auszeichnet.  

Pechmann: Im hinteren Teil unseres Buchs haben wir verschiedene Jobs aufgelistet, um zu zeigen, wie man unsere Vorschläge praktisch umsetzt. Und dort lautet ein Job: Nachhaltigkeit muss zur Toppriorität einer Marketingleitung werden. Niemand im Unternehmen kennt die Menschen da draußen in der breiten Masse so gut wie die Kommunikationsabteilung. Die wissen am besten, was sie wollen, wie sie ticken, wie man sie ansprechen muss. Und deswegen ist es einer ihrer Hauptjobs, nachhaltige Produkte oder Servicealternativen attraktiv zu machen und ins rechte Licht zu rücken. Und deswegen ist auch dieser vermeintliche Gegensatz von Glaubwürdigkeit und Umwelt und eben Kommerzialität, also sprich Umsatz, ja nur dann gegeben, wenn du wirklich Scheiße baust, also wenn nicht stimmt, was du sagst. Nimm dir ein Produkt wie Rapunzel Rote-Bete-Streich. Noch mehr davon zu verkaufen, statt irgendwie Leberwurst, ist doch super und nützt was. Genauso mit einem vernünftig produzierten E-Auto. Dem zum Erfolg zu verhelfen, ist ein konkreter Beitrag, weil du im Prinzip Investitionen von alten, konventionellen, fossilen Geschäftsmodellen und Produkten auf neue, zukunftsweisende Produkte transferierst.

Gollnhofer: Dazu kommt, dass in den zirkulären Businessmodellen, die mir besonders in den letzten Monaten oft begegnet sind, ja auch oft der Konsument eine Rolle spielt. Und wenn wir den nicht mit den richtigen Produkten und der richtigen Ansprache mitnehmen, dann kann ich auch mein Businessmodell nicht zirkulär machen.

Und wenn in nachhaltigen Geschäftsmodellen falsche Annahmen über die Kunden bestehen, dann funktioniert das ganze Modell nicht mehr.

Glaubt ihr denn, dass es auch unabsichtliches Greenwashing gibt? Dass also Unternehmen denken, sie würden total nachhaltig handeln, aber einfach nicht genug darüber wissen?

Pechmann: Es gibt zwei unterschiedliche Gründe für Greenwashing. Das eine ist mangelnde Moral, dass also bewusst einfach nur „grün angemalt“ wird. Aber was viel häufiger vorkommt, ist der zweite Grund: mangelnde Kompetenz. Viele Unternehmen meinen es sogar gut, wenn sie zum Beispiel Kompensation oder Aufforstungsprojekte anbieten oder unterstützen, wissen aber einfach nicht genug über die Thematik. Das macht es auf Endverbraucherlevel so schwierig, ein gutes, nachhaltiges Produkt zu finden oder einen Lösungsvorschlag einzuordnen. Nehmen wir das Thema E-Mobilität mit dem Lithium in Batterien. Kein Mensch weiß, dass der Anteil von Lithium an so einer Batterie bei unter 3 Prozent liegt, der von Aluminium aber bei 70 Prozent. Und da fragt sich keiner, wo das Aluminium denn herkommt, denn das wird genauso abgebaut.

Gollnhofer: Bei einer Espressokapsel fragt sich dann aber wiederum jeder, wo das Aluminium herkommt. Dabei macht es dort nur 2 bis 4 Prozent aus.

Das würde also im Umkehrschluss bedeuten, dass man Marketingabteilungen auch in Bezug auf Nachhaltigkeit fortbilden müsste?

Pechmann: Ich glaube, dass für ein kompetentes Nachhaltigkeitsmarketing auch ein Nachhaltigkeitsgrund- und -faktenwissen in der Marketingabteilung vorhanden sein müsste, damit man da auch so eine Art Qualitäts- oder Gatekeeperfunktion einnehmen kann. Aber so oder so muss man sagen: Wenn Greenwashing passiert, dann liegt am Ende des Tages die Verantwortung beim Marketing. Denn der letzte Schreibtisch, über den irgendeine Kommunikation geht, ist der vom CMO.

Abgesehen von ungenügender Recherche: Was sind die häufigsten Fehler, die beim Marketing grüner Produkte passieren?

Gollnhofer: Ein Fehler, den wir bereits erwähnt haben, ist, dass sie ihre Zielgruppe nicht verstehen. Die 60 Prozent ticken anders als die Ökofans. Was abgesehen davon oft falsch gemacht wird, ist die Kommunikation, die meist voll ist von negativen Geschichten: Die Welt brennt, die Eisscholle geht unter. Es reicht auch nur, wenn es unterschwellig negativ ist. „Komm, lass uns verändern“ ist nicht unbedingt eine positive Geschichte. Aus der Wissenschaft wissen wir: Das nimmt Leute nicht mit. Trotzdem wird es die ganze Zeit gemacht und noch mal einen draufgesetzt mit Fakten oder mit Zahlen. Die müssen schon da sein. Aber würde ich das jetzt auf die Produktverpackung vorne draufschreiben? Ist das so relevant für die 60 Prozent? Zusammenfassend kann man sagen: Erstens, versteh deine Zielgruppe. Und zweitens, überleg dir eine positive Story – und keine negativen Fakten.

Pechmann: Es gibt noch einen Urfehler, der damit einhergeht. Und zwar, dass man nicht ehrlich ist.

Nachhaltigkeit hat ein Imageproblem.

Nachhaltigkeit ist nicht der Klassensprecher, es ist der Klassenarsch. Und wenn man das akzeptiert – was vielen schwerfällt –, dann ist das eine ganz andere Ausgangslage. Du machst nicht mehr Werbung für etwas, das jeder haben will, sondern für etwas, das per se nicht beliebt ist. Du musst Menschen erreichen, die dir eigentlich nicht zuhören wollen. Und dieses Umdenken ist ganz fundamental. Im Buch haben wir ein Bild von einem Tandem, das zeigen soll, wie gute Nachhaltigkeitskommunikation aussieht. Und da sitzt die Nachhaltigkeit nicht vorne, sondern hinten. Vorne am Steuer sitzen die Ich-Benefits, also das, was die Kunden davon haben. Ich möchte aber betonen, dass wir Nachhaltigkeit nicht nach hinten setzen, weil wir sie für weniger wichtig halten. Das ist vielmehr Taktik – die Kunden erst begeistern und dann ganz nebenbei erwähnen, was sie damit Gutes tun.

Es scheint, dass viele sich das beim Thema Nachhaltigkeit einfach nicht trauen. Es fühlt sich vielleicht intuitiv falsch an, weil man denkt, man müsse hier irgendwie ernst und bei den Fakten bleiben.

Pechmann: Neben dem Greenwashing – also dass du keine Substanz hast und trotzdem ganz viel kommunizierst – gibt es auch das Green Hushing, sprich: Du hast eigentlich voll viel Substanz, aber kommunizierst nichts darüber, weil du Angst hast, etwas Falsches zu sagen. Und da gibt es leider wirklich viel gutes Zeug auf dem Markt, das so untergeht.

Wie viel würdet ihr denn sagen, trägt Marketing tatsächlich zu einem grünen Konsum bei?

Pechmann: Aus meinem Gefühl raus würde ich sagen: mindestens 75 Prozent. Für mich ist das wirklich der entscheidende Hebel – die guten Produkte, die auch richtig was können, sind ja schon längst da. In allen Warengruppen hast du nachhaltige Alternativen, die mehr oder weniger in einer Nische rumdümpeln. Es ist eine reine Kommunikationsfrage, ob du es schaffst, sie massenattraktiv zu vermarkten.

Gollnhofer: Ich wäre sogar fast noch höher gegangen. Man hat Grundbedürfnisse, die man erfüllen muss. Aber alles, was darüber hinausgeht, ist sozialkulturell bedingt. Und wer treibt diese sozialkulturelle Bedingung? Wer schafft das Bild in unseren Köpfen, dass es so cool ist, einen Porsche zu fahren? Und wer hat es jahrelang geschafft, dass es so cool ist, zu rauchen, weil es mit Freiheit assoziiert wird? Das Marketing. Man hat hier einen ziemlich großen Hebel, um den Konsum von uns allen nachhaltiger zu machen.

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1 Wir haben ein Buch mit 230 Seiten für diesen Artikel gelesen und zusammengefasst.
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