„Sehen Sie sich die Produzenten der Produkte an, die Sie kaufen.“
Wie essenziell das Thema Umweltschutz ist, haben inzwischen auch Unternehmen realisiert. Nur dass wir eigentlich die ganze Zeit schon wortwörtlich auf der Lösung des Problems stehen, das ist vielen noch nicht bewusst. Herr Schwinn, Sie haben mit Ihrem Buch „Rettet den Boden“ ein Plädoyer für den Schutz des Bodens geschrieben – und gezeigt, dass wir mit dem Aufbau von Humus einen erheblichen Beitrag zum Umweltschutz leisten können. Warum hat dieses Thema für Sie persönlich mehr Aufmerksamkeit verdient?
Florian Schwinn: Ich habe zunächst ein Buch über eine Kulturgeschichte von Mensch und Nutztier geschrieben. Beim Thema Tierhaltung kommt man um das Thema Dünger und Ackerbau kaum herum. Daher habe ich mit Landwirten gesprochen und viele haben darüber geklagt, dass es eigentlich ganz egal ist, was sie auf den Acker werfen: es wächst nichts mehr. Das bedeutet: Sie wenden im Laufe der Jahre immer mehr Dünger auf, ohne mehr Ertrag zu haben. Der aktuelle Zustand mancher Böden ist die logische Konsequenz. Es stellt sich die Frage: Liegt es an den Landwirten – oder an dieser Form von Landwirtschaft, die die Böden und damit unser aller Lebensgrundlage zerstört? Und dann stellen Sie fest: Man muss sich über Tierhaltung keine Sorgen mehr machen. Wenn die Böden kaputt sind, kann man die Tiere nämlich nicht mehr füttern. Und auch die Menschen nicht.
Wie groß würden Sie den Faktor Boden einschätzen im Vergleich zu anderen Faktoren, die zur Umweltproblematik beitragen?
Der Boden ist durchaus ein beachtlicher Faktor. Es gibt ja die 4 Promille-Initiative-Frankreichs:
Es würde ausreichen, 4 Promille Humus in allen unseren landwirtschaftlich bewirtschafteten Böden pro Jahr aufzubauen, statt ihn durch Erosion zu verlieren, um den gesamten menschgemachten Jahres-Ausstoß an zusätzlichem CO2 im Boden zu versenken.
Florian Schwinn
Die Leute verstehen oftmals gar nicht, welche Dimension das hat und was das bedeutet. Dass Humus eben zu 60 Prozent aus Kohlenstoff besteht und man natürlich diesen Kohlenstoff aus der Atmosphäre nehmen kann, indem man das CO2 über die Pflanzen und die organische Substanz im Boden bindet. Oder über Holzkohle, zum Beispiel.
Eine konkrete Idee, wie man diesen Kohlegehalt im Boden erhöhen könnte?
Ich kenne einen Bauern, der versetzt das Futter seiner Kühe mit zertifizierter gemahlener Holzkohle. Das wirkt in etwa so, wie wenn wir Menschen Aktivkohle-Tabletten zu uns nehmen. Er hat also sehr gesunde Kühe, die die Holzkohle – da sie diese nicht verwerten können – einfach wieder „ausscheißen“. Und mit dem Dung landet sie im Boden. Jedes dieser winzig kleinen Holzkohle-Partikelchen bildet hier einen Nukleus, um den sich neues Bodenleben bilden kann. Holzkohle ist nämlich porös, kann also Wasser speichern und Luft aufnehmen, und das ist genau das Mikroklima, was das Bodenleben braucht. Das heißt: Wenn man einen schlechten Boden hat, der ausgelaugt ist, kann man sich dieses Verfahren zu Nutze machen.
Sie haben vorhin diese vier-Promille-Initiative erwähnt. Wie schätzen Sie die Möglichkeiten dieser Initiative ein?
Das Thünen-Institut hat die These der Franzosen überprüft und festgestellt, dass wir das in Deutschland sogar toppen können. Das Institut hat Berechnungen angestellt und an typischen Böden in der deutschen Landwirtschaft Prüfungen getätigt, und kam zu folgendem Fazit: Erstens, wir haben Humus-Verluste, wir haben Erosion. Zweitens: Wir können diese Erosion stoppen. Dadurch hätten wir schon viel gewonnen. Und drittens: Wir können auf den jetzt schon degradierten Böden, wo eigentlich weniger Humus drin ist, als drin sein könnte, ganz lange Jahre aufbauen.
Kann man das nicht in jedem Boden?
Jeder Boden hat eine Humus-Sättigung. Man kann nicht ohne Ende in jedem Boden Humus aufbauen, das ist je nach Boden unterschiedlich. Mal liegt die Sättigung bei drei Prozent, mal acht oder zwölf. Aber wir sind in Deutschland fast überall unter der Sättigung. Aufbau ist also möglich und notwendig.
Es scheint so, als gewinne die Problematik nun schleppend an Aufmerksamkeit.
Das Problem mit unseren Böden besteht weltweit.
Wenn Sie die Weltkarte der drohenden Verwüstung betrachten, gibt es im Raum Südspanien weite Gebiete, wo Landwirtschaft nicht mehr möglich ist. Und das sind Gebiete, in denen zuvor seit hunderten von Jahren Rinder gezüchtet wurden.
Florian Schwinn
In Deutschland ist es noch nicht so virulent. Doch die Bauern haben das Problem bereits erkannt. Es ist nicht in den Köpfen der breiten Masse, aber es ist in den Köpfen derer, die sich mit Landwirtschaft beschäftigen.
Was ist mit den Köpfen der Politik?
Es gibt mittlerweile einige Initiativen. Etwa die Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Union. In Deutschland ist gerade eine Initiative namens „Humus plus“ gestartet: Der BÖLW, das ist der Bundesverband Ökologische Lebensmittelwirtschaft, der Deutsche Bauernverband und das Thünen-Institut haben einen Förderauftrag bekommen: 150 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland mit verschiedensten Böden zu finden und zu erforschen, wie man Humus aufbauen kann. Auch gibt es einen Forschungsverbund mit Instituten in Deutschland, der Schweiz und Österreich namens Bonares. Während der ersten öffentlichen Veranstaltung bei dessen Jahrestreffen habe ich mit einer Journalistenkollegin und einem Bodenforscher aus Görlitz darüber geredet, was die Wissenschaft jetzt eigentlich machen müsste. Die zentrale Frage lautet: Wie kann man es schaffen, auf die Bauern zuzugehen?
Was meinen Sie damit?
Die Kommunikation mit den Bauern war im Osten Deutschlands zur Zeit der DDR viel besser. Da hat es von den Forschern einen direkten Kontakt zu den Landwirten gegeben. Der ist irgendwie untergepflügt worden. Das muss sich wieder bessern.
Sie sagten, Sie hatten einen regen Austausch mit den Bauern. Können Sie das ausführen?
Die Entwicklung der Böden haben die Landwirte ja nicht allein zu verantworten. Unser aktives Streben nach «größer, schneller wachsen – oder weichen» ist schuld. Natürlich, der Bauernverband hat sich dafür vor den Karren spannen lassen. Aber die Bauern sind eher in der Sandwich-Position: Sie haben die Agrarindustrie, die ihnen auf der einen Seite die Betriebsmittel verkauft und dann auf der anderen Seite die erzeugten Produkte abkauft. Sie befinden sich also mitten im großen Agrobusiness. Dazu gehören Unternehmen wie Hersteller von Agrar-Chemie, Landwirtschaftsgeräten, aber auch Molkereien, Schlachthöfe und der Lebensmitteleinzelhandel. Der Bauernverband hat sich gewissermaßen zum Büttel der Agrarindustrie gemacht.
Und das bleibt wohl nicht ohne Konsequenzen – Sie schreiben, dass in Frankreich die Suizidrate bei Landwirten 20 Prozent höher ist als beim Rest der Bevölkerung.
In den letzten Jahren steht die Situation Spitz auf Knopf.
Immer mehr bäuerliche Betriebe geben auf, weil der Lebensmitteleinzelhandel, die Schlachthöfe und die Molkereien die Preise bestimmen, und nicht der Markt. Das ist ein riesiges Marktversagen.
Florian Schwinn
Urheber sind der Lebensmitteleinzelhandel, die Molkereien und die Schlachtereien. Sie bestimmen die Preise und die Bauern müssen liefern – frei nach dem Motto: Friss oder stirb. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Bauern über Jahre schon von der Substanz leben. Seit zwei Jahren geben die Schweinebauern jedem Schwein, das zum Schlachter geht, 50 Euro mit. Der Milchbauer schmeißt jedem Liter Milch 15 Cent hinterher. Die Bauern wollen nicht, dass es so weitergeht. Sie wollen, dass man mit ihnen spricht. Es ist also das System, das sie dazu gebracht hat, immer mehr Kunstdünger zu verwenden, die Tiere immer weiter auszunutzen, immer größere Chargen auf den Äckern, also immer größeren Ertrag zu machen. Das macht den Boden, die Tiere und eben auch die Landwirte kaputt.
Sie haben also nicht wirklich eine Wahl, wie sie wirtschaften wollen?
Nein. Das geht bis zu folgedem aberwitzigen Beispiel: Wenn die Zuckerrüben-Fabrik dem Bauern in einem feuchten Jahr eine Zuckerrüben-Erntemaschine schickt, die 50 Tonnen wiegt, ist der Acker hin. Da wächst im nächsten Jahr nichts mehr. Der Bauer muss nun entscheiden: Breche ich den Vertrag mit der Fabrik und erhalte eine Konventionalstrafe? Oder gebe ich den Acker auf? Sogar wann die Maschine auf den Acker fährt, entscheidet die Fabrik. Ihr geht es um die Ernte, was interessiert sie der Acker?
Ist das also Teil des Problems: Dass sich die eigentlichen Entscheidungsträger nicht wirklich für die Konsequenzen einer solchen Landwirtschaft interessieren?
Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen bäuerlicher Landwirtschaft und Industrie. In der Politik wird hier jedoch kein Unterschied gemacht. Der Industrielandwirt kriegt von der EU die gleichen Subventionen pro Hektar wie der kleine bäuerliche Dorfbetrieb. Das heißt: Der, der viel hat, kriegt auch viel. Und der kleine Hof, der eigentlich eine Landwirtschaft betreibt, die auch für die Biodiversität besser und kleinräumiger ist, kriegt halt entsprechend weniger. Sogar Landbesitzer, die ihre Äcker nur verpachtet haben, also gar keine Bauern sind – etwa Aldi, dem gewaltige Ländereien gehören – werden subventioniert. Das ist ein Big Business.
Take-aways:
- Mit der Art und Weise, wie heute Landwirtschaft betrieben wird, machen wir unsere Böden – und damit unsere Existenzgrundlage – kaputt.
- Der Lebensmitteleinzelhandel, die Schlachthöfe und die Molkereien bestimmen die Preise – und bringen Bauern damit an den Rand ihrer Existenz.
- Wenn Sie dem Boden und damit der Umwelt etwas Gutes tun wollen, sehen Sie sich die Produzenten der Produkte, die Sie kaufen, an und kaufen Sie nur Produkte von Landwirten, die nachhaltig wirtschaften.
Gibt es eine Alternative, um bei den Bauern selbst anzusetzen und sie dabei zu unterstützen, nachhaltiger zu wirtschaften?
Würden wir eine CO2-Bepreisung in Deutschland auch in der Landwirtschaft einführen und den Bauern eine CO2-Steuer aufbrummen, die ihre Kühe in Ställen halten und dadurch zu viel Methan aus ihren Ställen entlassen, könnten wir den Bauern, die etwa Humus aufbauen, Teile dieser CO2-Steuer ausbezahlen.
Was kann man als Einzelperson tun, um dieser Problematik entgegenzuwirken?
Bei den tierischen Produkten ganz genau auf die Herkunft achten: Kommen die Tiere raus oder stehen die ihr ganzes Leben im Stall? Am besten bringt man sogar in Erfahrung, wie der Betrieb aussieht – denn Freilaufhaltung bei Hühnern kann auch bedeuten, dass der Stall zwar geöffnet ist, aber auf einer Wiese ohne Bäume oder Sträucher steht, sodass die Hühner gar nicht rausgehen, weil sie Bussard und Habicht fürchten.
Also lieber da einkaufen, wo ich wenigsten einmal gesehen habe, wie die Landwirte, die diesen Laden beliefern, wirtschaften.
Florian Schwinn
Aber das ist doch bei Produkten aus konventionellen Supermärkten gar nicht möglich.
Doch: Sehen Sie sich die Produzenten der Produkte, die Sie kaufen, an! Das hab ich selbst auch so gemacht. Die Angaben dazu hatte ich von der Verpackung. Zudem finden Sie auch weitere Angaben auf den Produkten selbst. Auf Eiern zum Beispiel steht immer eine Nummer und ganz am Anfang der Nummer steht, was es für eine Haltung ist – 0 ist Bio. Dann kommt ein Strich und dann steht, wo es herkommt, also etwa DE. Und dann kommt hinten die Betriebsnummer. Und damit kann man sich dann bei «Kat», kurz für «kontrollierte alternative Tierhaltungsformen», den Betrieb ansehen. Das funktioniert für viele Länder in der EU.
Gibt es noch andere Dinge, die man tun kann?
Kaufen Sie im Winter sogenannte Heumilch und im Sommer Weidemilch. Dann wissen Sie: die Kühe gehen raus. Bei Heumilch bekommen sie eben nicht nur Kraftfutter, sondern genügend Raufutter. Das ist die Verpflichtung, die mit diesem Wort zusammenhängt. Und schließlich kann man natürlich auch einfach auf Bio umsteigen. Dann gibt es zumindest Standards, die eingehalten werden müssen, in der Tierhaltung – aber auch in der Bodenbearbeitung.
Lassen sich nicht-nachhaltige Formen der Bodenwirtschaft auch an anderen Dingen einfach erkennen?
Fahren Sie an einem Kartoffelacker vorbei, der an einem Hügel liegt, und sehen Sie, dass die Furchen sich längs zum Hügel befinden, dann hat er sich’s einfach gemacht. Dann kann er mit dem Traktor runterfahren und hat nicht immer diese Schräglage. Dann hat er aber auch der Erosion Tür und Tor geöffnet, da der Regen den Boden weggeschwemmt. Auch wenn Sie im Winter Winter Äcker sehen, die bloß liegen, die nicht bedeckt sind, sehen Sie eine Wirtschaftsform, die wir uns nicht wünschen. Das fördert nämlich Erosion. Und es hat zur Folge, dass die Bodenbewohner, die im Frühjahr wach werden, nichts zu fressen haben. Sinnvoller wäre eine ständige Bodenbedeckung und Zwischenfrüchte das ganze Jahr über. So baut man Humus auf einfache Weise auf.
Kann man das Bodenleben auch fördern, wenn man kein Landwirt ist? Etwa im eigenen Garten?
Ja, das geht. Wenn man das Laub, das auf den gepflegten Rasen fällt, unter die Büsche und um die Bäume kehrt, schafft man für das Bodenleben sozusagen eine Weide. Die Regenwürmer machen daraus Humus. Ein gepflegter englischer Rasen dagegen ist eigentlich, wie soll ich sagen, eine tote Veranstaltung. Nur dort, wo das Laub oder der Rasen-Schnitt zum Mulchen genutzt wird, wächst das Bodenleben heran.
Über den Autor
Florian Schwinn ist vielfach ausgezeichneter Journalist und Autor zahlreicher Sachbücher zu Umweltthemen.