Der Überarsch
Elon Musk

Der Überarsch

Starbiograf Walter Isaacson beschreibt Elon Musk als empathieloses Genie mit einem Hang zum Größenwahn – dem trotzdem oder gerade deshalb fast alles gelingt. Das ist abwechselnd spannend, aufschlussreich und ziemlich ärgerlich.

Elon Musk ist seit seinen unglücklichen Teenagerjahren ein glühender Fan von Douglas Adams’ Sci-FiSatire Per Anhalter durch die Galaxis. Er nennt Adams seinen „Lieblingsphilosophen“ und hat sich immer wieder von dem Kultbuch inspirieren lassen. Jüngstes Beispiel ist das von X (ehemals Twitter) entwickelte KI-basierte Sprachmodell Grok. Laut Musk soll der ChatGPT-Konkurrent fast alles beantworten und, „was noch schwieriger ist, sogar Vorschläge machen, welche Fragen man stellen sollte!“

Man wünscht sich, Musks Biograf hätte auf Grok gehört. Zwei Jahre lang ist er Musk für das 800 Seiten starke Heldenepos nicht von der Seite gewichen, hat mit Familienmitgliedern, (Ex)-Freunden, (Ex)-Kollegen und (Ex)-Ehefrauen gesprochen. Doch wie schon bei seinem Weltbestseller über Steve Jobs ließ er sich dabei von einer einzigen Frage leiten, die der Great-Man-Theorie entlehnt ist: Braucht es Genies mit all ihren menschlichen Schwächen, um Innovationen voranzutreiben und die Welt zu verändern? Und ist es nicht gerade der Zerstörungswille großer Männer, der das Unmögliche möglich macht? Walter Isaacsons Antworten lassen sich schon nach wenigen Seiten erahnen: Ja und ja, der Arschlochfaktor sei leider der Preis, den die Menschheit für herausragende Taten zahlen müsse.

Empathiefähigkeit war in ihm nicht angelegt. Oder, um es weniger gehoben auszudrücken: Er konnte ein Arschloch sein. Walter Isaacson

Isaacson erzählt den Werdegang von Elon Musk als klassische Aufstiegsgeschichte: Von Gleichaltrigen gemobbt und von einem grausamen Vater traumatisiert, floh der mittellose Computer-Nerd mit 18 Jahren aus Südafrika erst nach Kanada, dann in die USA. Er studierte Physik und Betriebswirtschaft und hatte sich bereits für ein Promotionsstudium in Stanford eingeschrieben, als er Mitte der 1990er-Jahre beschloss, die Internetwelle mitzureiten. Es folgte die vielbeschworene Start-up-Romantik der frühen Silicon-Valley-Pioniere, inklusive nächtlicher Programmier-Marathons mit Pizzaschlachten in versifften Büros – immer nur einen Klick vom Bankrott oder der nächsten Millionenspritze entfernt.

Auf in die multiplanetare Zukunft

Musk war jähzornig, unberechenbar und oft auch grausam. Bei einem Streit biss er seinem jüngeren Bruder und Geschäftspartner Kimbal in die Hand, dieser musste daraufhin für eine Tetanusspritze ins Krankenhaus. Musk heiratete seine College-Liebe Justine Wilson und flüsterte ihr beim Hochzeitstanz ins Ohr, er sei das Alphatier in der Beziehung.

Bei Paypal wurde er zwar wegen unkollegialen Verhaltens aus der Unternehmensspitze geputscht, blieb aber Anteilseigner und strich 2002 beim Börsengang des Zahlungsdienstleisters 250 Millionen Dollar ein. Mit dem Geld gründete er das Raumfahrtunternehmen SpaceX – getrieben von missionarischem Eifer und der festen Überzeugung, dass das menschliche Bewusstsein die Zerstörung unseres Planeten nur als multiplanetare Zivilisation überleben wird.

Von nun an entwickelte sich Musk zum hyperaktiven Gründer mit Messias-Komplex: Er wollte nicht nur zum Mars fliegen und das Elektroauto massenmarkttauglich machen (Tesla), sondern auch Pendler in einer „Hyperloop“ genannten Vakuumröhre zwischen Metropolen hin- und hertransportieren (the Boring Company). Zudem kündigte er die Entwicklung eines humanoiden Roboters an, der alle schweren Arbeiten übernehmen und den Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen schenken soll (Optimus). Musk plant auch, eine Symbiose zwischen Mensch und Maschine durch direkt ins Gehirn eingepflanzte Chips zu schaffen (Neuralink), 40’000 Kommunikationssatelliten ins All zu schießen (Starlink) und möglichst alle amerikanischen Haushalte mit Solardächern auszustatten (SolarCity). Ach ja, eine menschenfreundliche KI muss natürlich auch noch her (X.AI)!

Die einzig wahren Regeln sind die Regeln der Physik. Alles andere sind nur Empfehlungen.
Musks ‚Algorithmus‘ 

Objektiv erfolgreich war Musk bislang allerdings nur mit Tesla und SpaceX. Kritiker weisen darauf hin, dass seine Unternehmen in den Bereichen Robotik, KI und vollautonomes Fahren weit hinter der Konkurrenz zurückliegen. Dennoch gelingt es ihm immer wieder, sich als begnadeter Macher zu verkaufen, der die Kunst des fail fast – fail forward perfektioniert hat. Ein Beispiel ist die Geschichte der Falcon-1-Rakete: Die ersten drei Starts misslangen. Dann peitschte Musk sich und sein Team zu Höchstleistungen an, setzte beim vierten Mal 2008 alles auf eine Karte – und gewann. SpaceX war das erste private Raumfahrtunternehmen, das mit 500 Mitarbeitenden eine Rakete in den Orbit schoss. Zum Vergleich: Die entsprechende Abteilung bei Boeing hatte 50 000 Beschäftigte.

Kollegialität schadet dem Geschäft

Isaacson spart die Schattenseiten von Musks Hardcore-Mentalität nicht aus: Wer nicht wie er bereit ist, Kollegen niederzumachen, Sicherheitsvorschriften zu ignorieren und die eigene Gesundheit zu ruinieren, wird gefeuert. Akribisch zeichnet der Biograf die Spur der menschlichen Verwüstungen nach, die der von einem „irrsinnigen Dringlichkeitsgefühl“ getriebene Multimilliardär hinterlassen hat – um dann den vergraulten Tesla-Manager Michael Marks mit den Worten zu zitieren: „Manche Leute sind einfach Arschlöcher, aber sie erreichen so viel, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als mich zurückzulehnen und zu sagen: Offenbar gehört das zusammen‘.“(Musk hatte Marks übertriebene Rücksichtnahme vorgeworfen.)

Privat wehte ein ähnlich rauer Wind. Seiner ersten Ehefrau und Mutter von fünf durch In-vitro-Fertilisation gezeugten Kinder sagte er im Streit: „Wenn du meine Angestellte wärst, würde ich dich feuern.“ (Ihr erster Sohn war 2002 am plötzlichen Kindstod gestorben.) Als die kanadische Künstlerin Grimes 2020 den gemeinsamen Sohn X zur Welt brachte, schickte er ein Foto von der Kaiserschnittgeburt an Freunde und Verwandte – und wunderte sich über deren Entsetzen. („Da kam Elons Asperger voll durch. Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum ich mich darüber aufregte.“) Und während er mit Grimes zwei weitere, von Leihmüttern ausgetragene Kinder in die Welt setzte – Y und Tau – zeugte er heimlich im Reagenzglas Zwillinge mit Shivon Zilis, seiner „intellektuellen Gefährtin“, Geschäftsführerin von Neuralink und bis zur peinlichen Enthüllung eine enge Freundin von Grimes. (Elon habe sie zur Schwangerschaft ermutigt, weil er wolle, dass kluge Menschen mehr Kinder bekommen, so Zilis.)

Tue mein Bestes, um dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken. Eine einbrechende Geburtenrate ist die mit Abstand größte Gefahr für die Zivilisation.Tweet von Musk

Diese Episode wirft ein Schlaglicht auf die größten Stärken und Schwächen des Buches: Isaacson liefert jede Menge packende Insiderinformationen über die amerikanische Tech-Elite, garniert mit pikanten Details über Musks Familiendramen und Beziehungskrisen, alberne Stunts und selbstzerstörerische Provokationen. Er beschreibt viel, impliziert einiges, hinterfragt aber wenig.

Wem gehört die Welt?

So wirft Isaacson leider mehr Fragen auf, als er beantwortet. Ein Beispiel ist das Gerede vom Bevölkerungsschwund: Wie vereinbart Musk seine Angst davor mit seinem angeblichen Engagement für das Klima? Warum lässt der Autor unkommentiert, dass sich der stolze Vater von 11 Kindern offen als Eugeniker outet? Elon darf sich als Superheld mit menschlichen Schwächen inszenieren, der unermüdlich zum Wohle der Menschheit unterwegs ist – und wenn er sich mal wieder daneben benimmt, ist laut Isaacson wahlweise seine traumatische Kindheit, seine selbst diagnostizierte Asperger-Störung oder die dunkle Energie einer Frau schuld, die wieder einmal die „Dämonen“ in ihm geweckt habe.

Zwar geht die Biografie auch auf Musks Hang zu gefährlichen Hypes und leeren Versprechungen ein – etwa wenn dieser seit 2017 regelmäßig verkündet, das vollautonome Fahren sei maximal ein Jahr entfernt. Im Gegensatz zu vielen Analysten sieht Isaacson darin aber eher eine seltsame Schrulle als den systematischen Versuch, den Aktienpreis seiner Unternehmen in galaktische Höhen zu treiben. (Um zum Beispiel die aktuelle Marktbewertung von Tesla zu rechtfertigen, müsste laut Forbes im Jahr 2032 mehr als jedes zweite weltweit verkaufte Auto ein Tesla sein – was ungefähr so wahrscheinlich ist wie Musks Ankündigung, bis 2029 eine Million Menschen zum Mars zu befördern) Isaacson verklärt dieses Verhalten als „realitätsverändernden Eigensinn“. Kritiker nennen es schlicht Hochstapelei.

Allen, die ich irgendwie beleidigt habe, möchte ich schlicht sagen: Ich habe Elektrofahrzeuge neu erfunden und werde Leute mit einem Raumschiff auf den Mars schicken. Habt ihr gedacht, ich könnte noch dazu ein gechillter, normaler Typ sein? Musk in Saturday Night Live

Erst auf den letzten 200 Seiten lässt der Autor ein leichtes Unbehagen erkennen: Auf dem Zenit seines Erfolgs beschloss Musk im Frühjahr 2022, Twitter zu übernehmen. Er sorgte sich um das grassierende „Woke-Mind-Virus“, äußerte die Absicht, Twitter zu einer weltweiten Plattform für Meinungsfreiheit zu machen und feuerte in den ersten sechs Wochen drei Viertel der Belegschaft – mit der Folge, dass Trolle, Extremisten und manchmal auch Musk selbst die Plattform mit rassistischen Posts und rechten Verschwörungstheorien überschwemmten. Das gedemütigte und geprügelte Kind in Musk, so Isaacsons Fazit, habe in Twitter seinen ultimativen Schulhof gefunden.

Der wirklich entscheidenden Frage weicht er bis zum Schluss aus: Was sagt es über unsere Welt, wenn jemand wie Musk zu einem der reichsten und mächtigsten Menschen aufsteigen kann? Wem gehört diese Welt – und wenn ja, wie viel? Oder ganz anders gefragt: Würde man diesem Mann die Kontrolle über die Sauerstoffversorgung auf dem Mars anvertrauen? Vielleicht weiß ja die mit X (ehemals Twitter)-Daten gefütterte Grok-KI eine Antwort. Alternativ könnte sie dem Starbiografen bei seinem nächsten Projekt höflich vorschlagen, bessere Fragen zu stellen.

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