Von 51 Milliarden auf null
Wie wir die Klimakatastrophe verhindern

Von 51 Milliarden auf null

Um unseren Planeten zu retten, müssen wir die jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null senken und gleichzeitig Milliarden Menschen aus der Armut befreien. Keine leichte Aufgabe. Doch Bill Gates ist überzeugt: Wir können es schaffen – wenn wir die Herausforderung geschlossen, ideologiefrei und technologieoffen angehen.

Sein optimistischer Aufruf beginnt mit einer deprimierenden Feststellung: 2020 sind die weltweiten Treibhausgasemissionen um rund 5 Prozent zurückgegangen, wohl bedingt durch die Coronapandemie. Das sind gerade mal 2,5 Milliarden Tonnen CO2 – von derzeit 51 Milliarden Tonnen pro Jahr, die wir bis 2050 auf null bringen müssen. Denn nur so können wir unseren Planeten vor der Klimakatastrophe bewahren. Doch wenn die dramatischste Weltwirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren nur eine solche winzige Delle in der steigenden Emissionskurve verursacht hat – wie sollen wir jemals auf null kommen, indem wir weniger fliegen, anders Auto fahren oder nachhaltiger konsumieren?

Das Klima ist wie eine Badewanne, die langsam voll Wasser läuft. Selbst wenn wir den Wasserhahn bis auf ein Tröpfeln zudrehen, wird die Badewanne doch irgendwann voll sein und überlaufen, sodass der Fußboden überschwemmt wird.(Bill Gates)

Gates ist selbst begeisterter Fahrer eines Elektroautos. Statt wie einst mehrere Cheeseburger am Tag zu verzehren, schmeckt ihm heute auch der Fleischersatz der von ihm mitfinanzierten Start-ups Beyond Meat und Impossible Foods. Entkräftet er damit den Vorwurf, ein Klimaheuchler zu sein? Mitnichten. Denn noch immer düst er gern mit seinem Privatjet um die Welt und bläst dabei Unmengen an Klimagasen in die Luft. Höchstwahrscheinlich ist er sich dieses Widerspruchs bewusst und umarmt in Wie wir die Klimakatastrophe verhindern wohl auch deshalb seine Kritiker geschickt mit humorigen Selbstanklagen wie dieser: „Die Welt leidet nicht gerade unter einem Mangel an reichen Männern, die große Ideen haben für das, was andere Leute tun sollten, oder die glauben, dass jedes Problem durch Technologie gelöst werden kann.“

Kernkraft und CO2-Abscheidung sind alternativlos

Recht hat er. Aber es mangelt an Menschen, die komplexe Ideen allgemeinverständlich erklären und uns für den technischen Fortschritt begeistern können. Genau das versucht Gates – und es gelingt ihm. Mit dem kindlichen Staunen eines Charlie Bucket in Willy Wonkas Schokoladenfabrik führt er den Leser durch die wunderbare Welt der Klimarettungstechnologien. Manche dieser Technologien sind schon marktreif und massentauglich, andere hochspekulativ und umstritten. Atomkraft etwa hält Gates für die einzige CO2-freie Energiequelle, die rund um die Uhr zuverlässig elektrischen Strom liefert. Deshalb setzt er sich nachdrücklich für ihre Weiterentwicklung ein. Seine 2008 gegründete Firma TerraPower konzipiert einen vollautomatischen, unterirdischen Kernreaktor, der sogar mit Atommüll betrieben werden könnte – bisher allerdings nur in der Computersimulation. Bedenkenträgerei wischt Gates hemdsärmelig beiseite: Auch Autos seien einst hochgefährlich gewesen. Doch anstatt sie zu verbieten, hätten kluge Köpfe einfach Sicherheitsgurte und Airbags erfunden.

Am wichtigsten ist, dass die Menschheit sich wieder darauf besinnt, den Fortschritt auf dem Gebiet der Kernenergie ernsthaft voranzutreiben – sie ist einfach zu vielversprechend, um ignoriert zu werden.(Bill Gates)

Gates leuchtet die Schmuddelecken in der Ideenfabrik aus und nimmt Klassikern wie der Solar- und Windenergie oder dem Bäumepflanzen einen Teil ihrer Strahlkraft. Zwar spielten diese auf dem Weg zur Null eine wichtige Rolle, aber sie reichten bei Weitem nicht aus. Wir brauchen zusätzlich neue, bahnbrechende Lösungen: deutlich leistungsstärkere Batterien, Pumpspeicherkraftwerke, billigen Wasserstoff, CO2-neutralen Zement, Stahl und Dünger, optimierte Nutzpflanzen und -tiere, synthetische Kraftstoffe und im Labor hergestelltes Fleisch.

Es reicht aber nicht, die laufenden Emissionen zu reduzieren. Daher plädiert Gates dafür, bereits ausgeschiedenes CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden. Dazu schlägt er die Methode des Direct Air Capture vor. Sogar das viel gescholtene Geoengineering bringt er als Klimanotbremse ins Spiel – als einzige heute bekannte Methode, die globalen Temperaturen innerhalb relativ kurzer Zeit zu senken, „ohne die Wirtschaft abzuwürgen“.

Die armen Länder mitnehmen

Natürlich wird das schwierig. Vor allem deshalb, weil nicht nur die reichen Länder ihren absurd hohen CO2-Ausstoß reduzieren müssen, sondern gleichzeitig die Weltbevölkerung immer reicher und vor allem zahlreicher wird. Bis 2050 wird der globale Energiebedarf geschätzt um die Hälfte zunehmen. Der Gebäudebestand könnte sich bis 2060 verdoppeln. Und das, sagt Gates, ist gut so. Er ist überhaupt erst durch die Armutsbekämpfung zur Klimarettung gekommen. Um allen Menschen ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen, meint er, sei es geboten, statt weniger Energie, Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die Produktion sogar zu steigern.

Es wäre unmoralisch und nicht praktikabel zu versuchen, die Menschen, die weiter unten auf der wirtschaftlichen Leiter stehen, daran zu hindern, weiter nach oben zu steigen.(Bill Gates)

Allerdings müssen wir dieses Wachstum vom CO2-Verbrauch abkoppeln. Das gelingt aber nur, wenn wir den Ökozuschlag im Blick behalten, definiert als Kostendifferenz zwischen herkömmlichen und CO2-freien Lösungen. Auf die USA bezogen beträgt der Ökozuschlag auf eine Gallone moderner Biokraftstoffe gegenüber klassischem Benzin derzeit 106 Prozent – ein Aufpreis, der für reiche Länder vielleicht gerade noch verkraftbar, für ärmere aber untragbar wäre. Deshalb sollten die Industrienationen vorangehen und die technologischen, regulatorischen und politischen Weichen setzen, um Ökozuschläge so schnell wie möglich gen null oder sogar darunter zu senken, sprich CO2-neutrale Produkte zu entwickeln, die nicht teurer und im besten Fall sogar günstiger sind als herkömmliche. Das gebietet nicht nur Nächstenliebe bzw. Selbsterhaltungstrieb; vielmehr eröffnen solche Neuerungen gigantische wirtschaftliche Chancen. Denn auch das weiß der Microsoft-Gründer aus eigener Erfahrung: Wer sich frühzeitig an die Spitze des Fortschritts setzt, wird jahrzehntelang die Spielregeln bestimmen und reichlich Früchte ernten.

Nun sag, wie hast du’s mit dem Wachstum?

Bill Gates’ Optimismus wirkt ansteckend, und sein Buch ist differenziert, ziemlich umfassend und absolut lesenswert. Nur an einem Dogma rüttelt er nicht: dem eines konsumgetriebenen, exponentiellen Wachstums als einzig möglichem Ausweg aus der Krise. Dabei gibt es gute Gründe, an der Vorstellung eines nachhaltig grünen Wachstums zu zweifeln. Die Heinrich-Böll-Stiftung etwa kam in einer Studie zum Ergebnis, dass wir der Endlichkeit unserer planetaren Ressourcen aufgrund der vielen Interessenkonflikte und Bumerangeffekte gar nicht entwachsen können. Und die Transformationsforscherin Maja Göpel gibt den Autoren des 1972 erschienenen Klassikers Die Grenzen des Wachstums Recht. Für Göpel ist unser Wirtschaftssystem Teil des Problems. Sie fordert etwa, ökonomische Anreize zu schaffen, Ökosysteme unberührt zu lassen. Insgesamt müssten wir lernen, Dinge auch einfach mal nicht zu tun.

Für Bill Gates scheint Konsumverzicht jedoch wohl eher keine ernst zu nehmende Option. Seit 1999 hat er mit der Bill and Melinda Gates Foundation mehr als 50 Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke ausgegeben und gehört immer noch zu den drei reichsten Menschen der Welt – dank ungebremstem, nur bedingt nachhaltigem Wachstum.

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