Die Phischer in der modernen Marktwirtschaft machen uns mitunter zu Fools: Wir erwerben Montagsautos, essen Mist und sitzen Mythen auf. Höchste Zeit, dem etwas entgegenzusetzen.
Kaufen bis der Kuckuck kommt
Natürlich sehen wir uns gerne als mündige Verbraucher. Bei der Süßigkeit an der Supermarktkasse oder dem unschlagbar günstigen „Kaufe eins – erhalte eins gratis“-Angebot schlagen wir stets aus vernünftigen Gründen und freiem Willen zu, oder? Hand aufs Herz: Warum kaufen wir, was wir nicht brauchen? Weshalb essen wir uns mit fett-, salz- und zuckerhaltigen Nahrungsmitteln krank? Und wieso klicken wir in sozialen Medien alten Bekanntschaften hinterher, obwohl wir danach vor Neid schier platzen? George A. Akerlof und Robert J. Shiller stellen gleich zu Beginn klar: Das permanente Ausnutzen unserer Schwächen ist kein Fehler im System. Es ist Teil des Systems! Selbst die beiden Starökonomen geben zu, beim Haus-, Auto- und Katzenfutterkauf als gemeine Fools gephischt worden zu sein: Das heißt, sie sind Geschäfte eingegangen, bei denen die Verkäufer sich ins Fäustchen lachten und sie selbst über den Tisch gezogen wurden. Auch Nobelpreisträger sind offenbar manchmal die Dummen.
Wenn wir eine Schwachstelle haben – wenn es möglich ist, uns zu phischen –, so werden die Phischer zur Stelle sein.
George A. Akerlof und Robert J. Shiller
Sie erklären ihre Theorie vom Phishing-Gleichgewicht auf freien Märkten anhand von Warteschlagen an Supermarktkassen: Kunden stellen sich automatisch da an, wo ihnen die Wartezeit am kürzesten erscheint, und sorgen so für ausgeglichene Schlangenlängen. Sprich: Jede potenzielle, noch ungenutzte Gelegenheit wird auf freien Märkten von Geschäftsleuten sofort ausgenutzt. Wir haben zwar die Freiheit der Wahl – aber auch die Freiheit, zu phischen und gephischt zu werden. Das mag im Fall von Zuckergranaten und Fettbomben noch verzeihlich sein. Niemand zwingt mich schließlich dazu, stolze 880 Kalorien pro Zimtrolle zu vertilgen, die die amerikanische Bäckereikette Cinnabon mithilfe von künstlichem, in die Außenluft geblasenem Zimtgeruch verkauft. Beim hochprofitablem Geschäft mit den vier großen Süchten – Tabak, Alkohol, Drogen und Glücksspiel – ist das nach Ansicht der Autoren schon kritischer. Gerade der Vergleich zwischen der Tabak- und Alkoholindustrie zeigt aber, dass wir Geschichten, die wir uns selbst erzählen, umschreiben können. Rauchen gilt heute als dumm – Trinken (noch) als cool. Die Autoren sind überzeugt: Erst wenn wir die Geschichten hinter unserem Konsumverhalten verstehen, können wir den Phischern das Handwerk legen.
Warum der Handel mit faulen Früchten in der Finanzwirtschaft floriert
Wirklich kriminell wird es beim sogenannten Reputation Mining: Ein Unternehmen nutzt seinen guten Ruf, um Verbrauchern verdorbene Ware anzudrehen. Genau das geschah im Vorfeld der weltweiten Finanzkrise 2008 und 2009, als vormals angesehene Ratingagenturen minderwertige hypothekarisch besicherte Wertpapiere mit einem AAA-Rating versahen und so entscheidend zum Ausbruch der Krise beitrugen.
Lässt man ein einjähriges Krabbelkind aus dem Laufstall (dereguliert man seine Aktivitäten), so muss man es nicht weniger, sondern strenger beaufsichtigen.
George A. Akerlof und Robert J. Shiller
Die Autoren erzählen auch die Geschichte des Finanzjongleurs Michael Milken, der mit sogenannten Schrottanleihen spekulierte und am Ende dafür ins Gefängnis wanderte. Und sie warnen: Dubiose Finanzmarktstrategien zur wunderbaren Geldvermehrung sind keinesfalls aus der Welt. Im Gegenteil: Die Finanzphischingindustrie sucht und findet stets neue Fanggründe mit reicher Beute – bis die Gewässer umkippen und das Spiel von neuem beginnt.
Von Widerständlern und Helden: Warum der Staat Teil der Lösung ist
Was also tun? Akerlof und Shiller singen ein Loblied auf die wahren Helden der Marktwirtschaft: Menschen in Aufsichts- und Regulierungsbehörden, die Qualitätsstandards, Normen und Regeln durchsetzen, um unser Leben sicherer zu machen. Sie blicken etwas wehmütig auf die Zeit zwischen 1890 und 1940 zurück, als in den USA die Erzählung vom Staat als Teil der Lösung Hochkonjunktur hatte. Und sie machen Ronald Reagan für die Kehrtwende verantwortlich: Der Staat wurde in dessen Neuerzählung zum Kern des Problems. Die Autoren plädieren für klarere Spielregeln in der freien Marktwirtschaft: Vor allem die Rolle großer Geldgeber in der Politik müsse zurückgedrängt werden.
Was sind die Alternativen, wenn das wirtschaftliche Fundament alternativlos ist?
Spätestens hier hätten frische Ideen und konkrete Vorschläge dem Buch gutgetan. Denn die übrigen als brandneu verkauften Erkenntnisse sind im Grunde ein alter Hut: Dass wir naiver und verführbarer sind, als die Theorie vom rationalen Homo Oeconomicus uns weismachen wollte – geschenkt (Die Autoren haben das in ihrem Vorgängerwerk Animal Spirits ausführlich beschrieben). Und dass Produktvermarktung von den Geschichten abhängt, die wir uns über sie erzählen – diese Entdeckung machte Roland Barthes schon vor gut 60 Jahren in seinen Mythen des Alltags. Barthes fügte dem jedoch etwas Entscheidendes hinzu: Nicht der Mythos an sich ist das Problem, sondern die Tatsache, dass wir ihn als alternativlos darstellen.
Die moderne Fabel vom Phischer und seinem Fool greift etwas zu kurz: Akerlof und Shiller entlarven das komplette Geschäft mit Kreditkarten zu Recht als lupenreine Phishingoperation. Sie beklagen auch, dass die amerikanische Gesellschaft fünfeinhalb mal so reich ist wie 1930 und ihre Bürger trotzdem mehr Geldsorgen haben als je zuvor. Nur: Wie lautet dazu die Alternative in einem Wirtschaftssystem, das massiven Überkonsum und Schuldenexzesse zum Überleben braucht? Gut möglich, dass ein konsequenter Anti-Phishing-Kampf das Schiff in schwere Seenot bringen würde.
Trotz der offenen Fragen ist die Lektüre erhellend, unterhaltsam und womöglich lebensverändernd. Denn in der Masse können mündige Verbraucher und Wähler mehr bewegen, als den Phischern aus Politik und Wirtschaft lieb sein dürfte. Und sei es auch nur, weil wir in Zukunft einen großen Bogen um Bäckereiketten machen, aus denen uns chemisch-süßliche Zimtdüfte entgegen wabern.