Warum staatliche Lenkung die Wirtschaft innovativer machen kann
Die innovative Gesellschaft

Warum staatliche Lenkung die Wirtschaft innovativer machen kann

Wer Innovationsführer sucht, sollte nach Skandinavien blicken, nicht in die USA, meinen der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Co-Autor Bruce Greenwald. Die neoklassische Ideologie versagt hier.

Agilität, Lean Production, Kaizen, Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) und dergleichen mehr – das sind die Schreckgespenster veränderungsunwilliger Manager und Mitarbeiter. Aber genau diese Methoden bewirken Fortschritt. Mit ihnen bauen Unternehmen das Lernen systematisch in ihren Produktionsalltag ein. So entstehen Innovationen, die letztlich – gemäß gängiger Argumentation – der gesamten Wirtschaft und dem Wohlstand der Nationen zugutekommen.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz und Finanzwissenschaftler Bruce C. Greenwald sind anderer Ansicht. Auch wenn es wünschenswert wäre – dem Wohlstand einer Gesellschaft kommen betriebliche Innovationen nicht zugute, weil Märkte in diesem Bereich versagen. „Im neoklassischen Modell ist kein Platz für Lernen“, stellen die Autoren fest. Damit widersprechen sie entschieden der neoklassischen Ideologie, für die alle staatlichen Eingriffe Teufelszeug sind.

Innovationsmärkte sind ineffizient, daher sollte der Staat lenkend eingreifen.

Marktversagen ist ein Aspekt, dem die Public-Choice-Theorie große Aufmerksamkeit widmet. Sie betrachtet individuelles und kollektives Verhalten auf unvollkommenen Märkten und liefert sehr häufig praxistaugliche Erklärungen und Lösungsansätze. Dieses Buch entstand auf der Grundlage einer Vortragsreihe, die Kenneth Arrow gewidmet war, einem der Begründer der Public-Choice-Theorie. Folglich nutzen die Autoren deren Instrumentarium.

 

Wir lernen und werden besser, während wir produzieren und investieren. Wenn man mehr Schiffe baut, lernt man, Schiffe effizienter zu bauen. Die Produktivität steigt.

Stiglitz/Greenwald

Innovationsmärkte sind ineffizient. Warum? Weil Wissen ein öffentliches Gut ist. Es steht im Prinzip jedem zur Verfügung. Märkte tendieren bei öffentlichen Gütern jedoch zur Unterversorgung. Denn wer will sein Wissen und seine Innovationen schon mit der Allgemeinheit und den Wettbewerbern teilen? Natürlich die Wenigsten. Wenn Märkte versagen, muss der Staat eingreifen, so die Autoren. Aber wie kann der Staat das gesellschaftliche Lernen zum Wohl aller fördern? Eine Antwort finden sie nicht in den USA, an deren neoklassischem Kapitalismus sie kein gutes Haar lassen. Stattdessen richtet sich ihr Blick auf Skandinavien.

Skandinavische Länder haben alles, was Innovationsführer benötigen.

Die USA werden häufig als innovationsstarke Nation angesehen. Doch viele Fortschritte in heutigen Schlüsseltechnologien gehen auf Entdeckungen und Entwicklungen in anderen Ländern zurück. Die Entschlüsselung der DNA durch Watson und Crick oder die Grundlagen für den Bau des Computers durch Alan Turing stammen beispielsweise aus Großbritannien. Elementare Verbesserungen der Produktivität wurden in schwedischen (Qualitätszirkel) oder japanischen (Just-in-Time-Produktion) Unternehmen entwickelt – und zum Glück für den Rest der Welt nicht durch Patente geschützt. Den USA hingegen verdankt die Welt vor allem raffinierte Techniken der Verbrauchermanipulation und der Ausnutzung von Marktmacht, so das vernichtende Urteil der Autoren. Dort bewirken raffgierige „Patenttrolle“, dass wohl mehr Geld für Patentstreitigkeiten ausgegeben werde als für die Forschung.

 

Die Schaffung einer lernenden Gesellschaft sollte eines der vorrangigen Ziele der Wirtschaftspolitik sein.

Stiglitz/Greenwald

Als besonders innovationsfreundlich erweist sich Skandinavien. Die Effizienz der nordischen Volkswirtschaften profitiert von einer geschickten staatlichen Steuerung, von öffentlichen Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur, einer guten sozialen Absicherung der Bürger, einer höheren Besteuerung Besserverdienender sowie einem technologiefreundlichen Klima. So wird in Skandinavien vermieden, dass es in der Bevölkerung viele Verlierer und wenige Gewinner gibt. Eine solche Politik dient der Verbreitung von Ideen und dem allgemeinen Wohlstand weit mehr als rücksichtsloser Wettbewerb.

Handelsbeschränkungen können nötig sein, um Lerneffekte im Inland zu bewirken.

Ein anderer Aspekt ist der Freihandel. Seine Befürworter gehen oft davon aus, dass Länder durch den Handel voneinander lernen. Nein, meinen die Autoren. Länder lernen durch eigene Produktion. Nur wer produziert, kann effizienter werden („Learning by Doing“), was auch auf andere Bereiche der Volkswirtschaft abstrahlt. Für sich entwickelnde Länder kann es demnach sinnvoll sein, unreife Branchen oder Sektoren durch Handelsbeschränkungen und andere protektionistische Maßnahmen zu schützen, damit sie ungestört lernen und den Wissensrückstand gegenüber entwickelten Ländern verringern können. Ostasiatische Länder haben genau das mit ihrer Industriepolitik sehr erfolgreich praktiziert. Beispielsweise durch maßvolle Importquoten für Industriegüter. Ein Teil der Güter wird importiert und dient als Maßstab für heimische Nachahmer. Die restliche Nachfrage muss durch inländische Produktion gedeckt werden, wobei die volkswirtschaftlich erwünschten Lerneffekte und Effizienzsteigerungen auftreten.

 

Im neoklassischen Modell ist kein Platz für Lernen.

Sitglitz/Greenwald

Gegen die völlige Liberalisierung des Handels spricht zudem, dass Produktionsbereiche durch den Konkurrenzdruck abwandern oder zerstört werden können. Mit ihnen geht Know-how, also die Grundlage für Innovationen, verloren. Wenn US-Unternehmen die Herstellung von Thermosflaschen nach China verlagern und im eigenen Land einstellen, werden sie alles verlernen, was mit der Produktion von Thermosflaschen zu tun hat und in allen beteiligten Technologien zurückfallen.

Das neoklassische Modell versagt häufig – eine kluge Industriepolitik ist überlegen.

Entgegen der neoklassischen Ideologie sind Märkte eben nicht immer effizient, sondern tendieren häufig zum Marktversagen. Handelsbeschränkungen, Subventionen, Wechselkursinterventionen und andere Mittel der Industriepolitik, die wie nahezu alle Eingriffe des Staates von der Neoklassik strikt abgelehnt werden, sind daher nötig, um Lernvorgänge zum Wohl eines Landes zu fördern. Zu ihrem Glück, so die Autoren, haben die ostasiatischen Länder sich vom neoklassischen Modell wenig beeindrucken lassen und eine Industriepolitik nach eigenen Vorstellungen betrieben. Hätte Südkorea sich an neoklassische Empfehlungen gehalten, wäre es allenfalls ein Reisproduzent der Mittelklasse geworden. Stattdessen ist es staatlich gefördert in Hochtechnologien eingestiegen.

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