Von Freud und Leid
12 Rules For Life

Von Freud und Leid

Mit seinem Lebensratgeber 12 Rules For Life traf der kanadische Psychologieprofessor und Kulturkritiker Jordan B. Peterson offensichtlich den Nerv der Zeit. Das Buch verkaufte sich weltweit Millionen Mal und auch die Welttournee, auf die sich Peterson zur Vermarktung seines Buches begab, wurde ein voller Erfolg.

Jeder muss Verantwortung übernehmen – nicht nur für sich selbst

Eins vorweg: Der Begriff „Lebensratgeber“ beschreibt das Buch nicht umfassend genug. Vielmehr entführt Peterson den Leser auf eine Reise in das kulturelle Erbe des Westens und in die Welt der Psychologie. Peterson entwickelte ursprünglich 40 Regeln, die er schließlich zu zwölf mehr oder weniger griffigen „Lebensregeln“ verdichtete. Manche Kritiker verglichen diese Lebensregeln sogar mit den Zehn Geboten, was allerdings doch etwas zu hoch gegriffen ist.

 

Peterson setzt bei der Ableitung seiner Lebensregeln einige Grundannahmen voraus. Etwa dass ein Gefühl von Ethik angeboren ist oder dass das Chaos in allen Lebensbereichen auf dem Vormarsch ist. Der Mensch ist deshalb einer unsicheren Welt ausgesetzt, so Peterson, jederzeit drohen Schmerz, Angst und Leid. Glaubens- und Wertesysteme, die den Menschen bislang das Gefühl von Halt vermittelten, liefern ihm zufolge keine zufriedenstellenden Antworten mehr. Um den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen, muss vielmehr jeder Einzelne Verantwortung übernehmen, schlussfolgert Peterson. Und zwar nicht nur sich selbst, sondern für die ganze Welt. Um für diese Herkulesaufgabe gerüstet zu sein, gibt er der Menschheit zwölf Regeln an die Hand.

Fest steht, dass Sie erst dann so etwas wie Lebensfreude finden, wenn Sie in der Lage sind, die furchtbare Last der Welt zu schultern.

Jordan B. Peterson

Jeder dieser Regeln widmet Peterson ein eigenes Kapitel. Diese sind jeweils in Essayform ausgestaltet, angereichert mit Anekdoten und Berichten aus seiner langjährigen psychologischen Praxis. Darüber hinaus bezieht sich Peterson häufig auf Dichter und Philosophen und vor allem auf die Bibel. Auch wenn sich das nach schwerer Kost anhört, liest sich das Buch alles in allem erstaunlich leicht.

Viele Beispiele aus der Tierwelt

Die Lebensregeln bzw. Kapitelüberschriften offenbaren nicht immer sofort den Inhalt und sind oft metaphorisch zu verstehen. Bei der ersten Regel namens „Steh aufrecht und mach die Schultern breit“ steht das Thema Dominanzhierarchie im Fokus. Die Körperhaltung eines Menschen spiegelt dessen sozialen Status wider, so Peterson. Wer die Schulter hängen lässt und den Kopf senkt, signalisiert eine niedrige Position in der Hackordnung. Wer hingegen aufrecht steht und die Schultern breit macht, kann dadurch positive Veränderungen bewirken. Peterson erklärt Sachverhalte gern mit Beispielen aus der Tierwelt – hier etwa anhand von Hummern und Vögeln.

Auch für die zweite Regel verwendet er tierische Beispiele. Peterson zufolge lieben Menschen ihre Haustiere meist mehr als sich selbst. Wenn wir aber Ordnung im Leben wollen, müssen wir zuerst bei uns selbst beginnen, gibt er zu bedenken. Gerade weil der Mensch im Gegensatz zum Tier zu Mitgefühl fähig ist, sollte er sich vor allem selbst diese Achtung schenken. 

Betrachte dich als jemanden, dem du helfen musst.

Jordan B. Peterson

Während die dritte Regel „Freunde dich mit Menschen an, die es gut mit dir meinen“ für sich spricht, ist „Vergleiche dich mit dem, der du gestern warst, nicht mit irgendwem von heute“ wieder etwas erklärungsbedürftiger. Jeder Mensch ist anders, gibt Peterson zu bedenken. Zudem befinden sich andere Menschen oft in anderen Lebensumständen. Der Vergleich mit anderen ist deshalb nie vollständig und letztlich kein guter Ratgeber. Die einzige Möglichkeit, seine individuelle Situation zu verstehen, ist für Peterson das Beobachten der eigenen Verhaltensweisen und Leistungen.

Trotz alles Leids darf das Glück nicht zu kurz kommen

Einer der Hauptkritikpunkte an 12 Rules For Life ist die an vielen Stellen holprige Übersetzung. Hierdurch wird der eigentliche Sinn des Originals oft verwässert, wenn nicht sogar verzerrt dargestellt. Auch die Lebensregeln bzw. Kapitelüberschriften wirken auf Deutsch teilweise befremdlich. Beispielsweise die Regeln fünf und sechs. Aus „Do not let your children do anything that makes you dislike them“ und „Set your house in perfect order before you criticize the world“ wird in der deutschen Übersetzung „Lass nicht zu, dass deine Kinder etwas tun, das sie dir unsympathisch macht“ bzw. „Räum erst einmal dein Zimmer auf, ehe du die Welt kritisierst“. Kann man so übersetzen – es geht aber zweifellos auch besser. Inhaltlich beschäftigen sich diese beiden Regeln mit der optimalen Erziehung und Sozialisierung von Kindern sowie damit, dass wir erst an uns selbst arbeiten sollten, ehe wir gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben.

An einigen Stellen bringt Jordan B. Peterson auch seinen philosophischen Pessimismus zum Ausdruck. Etwa in der siebten Regel „Strebe nach dem, was sinnvoll ist (nicht nach dem, was Vorteile bringt)“. Das einzig Sichere im Leben ist, dass es Schmerzen und Leid bereithält, so Peterson. Als Ausgleich strebt der Mensch nach Vergnügen. Da aber schöne Momente flüchtig sind und zügelloses Ausleben von Impulsen zu Konflikten mit anderen führen kann, tendiert der Mensch zum Verzicht auf Vergnügen – in der Hoffnung später umso mehr belohnt zu werden. Das kann jedoch zu neuem Leid führen. Den Herausforderungen des Lebens lässt sich gemäß Peterson nur dann angemessen begegnen, wenn Handlungen im Sinne einer Gemeinschaft oder der Welt als Ganzem vorgenommen werden und das Miteinander für alle verbessern.

Nach einer Adaption des achten Gebots aus der Bibel („Sag die Wahrheit – oder lüge zumindest nicht“) rät Peterson in seiner neunten Lebensregel dazu, die eigene Sichtweise regelmäßig durch neue Perspektiven zu erweitern. Hierfür spielt der Kontakt zu anderen Menschen eine wichtige Rolle.

Gehe davon aus, dass die Person, mit der du sprichst, etwas weiß, was du nicht weißt.

Jordan B. Peterson

Darüber hinaus legt der Psychologieprofessor unter der Überschrift „Sei präzise in deiner Ausdrucksweise“ den Lesern nahe, mit sich selbst ins Gericht gehen und dabei auf den Punkt zu bringen, wie die Dinge tatsächlich sind. Vor dem großen Finale kommt Peterson noch einmal auf das Thema Kindererziehung zurück. Das Kapitel „Störe nicht deine Kinder beim Skateboardfahren“ beschäftigt sich damit, dass Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen sollten, um später in der Lage zu sein, das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

In der zwölften und letzten Lebensregel nimmt Peterson einmal mehr Bezug auf die Tierwelt. „Läuft dir eine Katze über den Weg, dann streichle sie“. Trotz allen Leids sollten wir stets offen für die vielen schönen Momente im Leben sein, so sein Schlussplädoyer. Und sei es nur, dass wir streunende Katze streicheln. In solchen Begegnungen, so Peterson, passieren viele ungewöhnliche, lustige oder einfach nur schöne Dinge, die das Leben lebenswert machen. Ein durchaus versöhnlicher Abschluss.

12 Rules For Life hebt sich durch seine tiefgründige und philosophische Ausrichtung vom Gros der meisten Ratgeber ab. Auch wenn sich Peterson teilweise in Details verliert, liefert er viele Denkanstöße, die das Leben bereichern und erleichtern können. Trotz einiger Schwächen bleibt unter dem Strich eine klare Leseempfehlung.

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