Schluss mit Vorurteilen: ein differenzierter Blick auf die Golfregion
Die neuen Herrscher am Golf

Schluss mit Vorurteilen: ein differenzierter Blick auf die Golfregion

In Deutschland sitzen Vorurteile über die Staaten der Golfregion recht locker: rückwärtsgewandte Energiepolitik, fehlende Menschenrechte, moderne Sklaverei. Dass die Sache so einfach nicht ist, weiß Sebastian Sons. Seit vielen Jahren forscht er zur Entwicklung der arabischen Golfstaaten. Sein Buch gibt einen umfassenden Überblick über die komplexe Situation in der Region und die komplizierten Beziehungen zwischen den Golfmonarchien und Deutschland.

Die Fußball-WM in Katar 2022 führte in Europa zu hitzigen Diskussionen. Es gab massive Kritik an der Ausbeutung der Arbeitsmigranten und -migrantinnen, der Benachteiligung von Frauen oder Mitgliedern der LGBTQI-Community. Diese Proteste sind nur ein Beispiel für die große Skepsis, die Europa gegenüber den arabischen Golfstaaten hegt. Das eindimensionale Bild, das hierzulande vorherrscht, hat jedoch viel mit mangelnder Kenntnis der politischen und ökonomischen Situation zu tun, sagt der promovierte Islam- und Politikwissenschaftler Sebastian Sons. In Wahrheit sei die Lage äußerst komplex und vielschichtig. Sein Buch bringt Licht ins Dunkel wirtschaftlicher Verflechtungen sowie gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Detailliert beschreibt er prägende historische und aktuelle Ereignisse und deren Hintergründe und lädt ein, sich differenziert mit der erstarkenden Rolle der Golfmonarchien auseinanderzusetzen.

Für die meisten Herrscher am Golf bedeutete die Welle der Aufsässigkeit einen Schock und leitete einen Prozess ein, der bis heute andauert. Dieser Prozess ist geprägt von dem unbedingten Willen der Dynastien, ihre Herrschaft nicht zu verlieren.Sebastian Sons

Die arabischen Aufstände beispielsweise sieht Sons als Beginn eines Machtkampfs. Die Herrscher am Golf versuchen seiner Ansicht nach bis heute, ihren Führungsanspruch aufrechtzuerhalten und zu legitimieren. Dazu setzen sie im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich eher auf Fortschritt, in der Innenpolitik auf Repression und Stabilität.

Die Golfstaaten im Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt

Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise haben sich zu attraktiven Wirtschaftsstandorten entwickelt, die Investoren anlocken. Neben Öl und Gas erschließen sie auch längst alternative Energiequellen. Viele Golfstaaten öffnen sich kulturell und lassen europäische, amerikanische, aber auch chinesische, japanische und koreanische Einflüsse zu. Die Herrscher inszenieren sich als weltoffen und modern, Frauen erhalten verstärkt Zugang zu Bildung und Arbeit. Innenpolitisch ändert sich hingegen kaum etwas: Weder gibt es eine Tendenz zu mehr Demokratie, noch werden die Menschenrechte besser eingehalten. Äußerst strenge Terrorgesetze dienen häufig als Vorwand, um Oppositionelle zu verfolgen. Reformen, die die Situation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten verbessern sollen, werden nur selten umgesetzt.

Mit diesen sowie zahlreichen anderen Beispielen unterfüttert Sons die Grundthese seines Buchs: Die Golfmonarchien sind sowohl in sich als auch untereinander heterogene und widersprüchliche Gesellschaften. Um sie zu verstehen, müssten die Menschen in Europa ihr Schwarz-Weiß-Denken zugunsten einer nuancierten Betrachtung aufgeben.

Wachsender Einfluss auf die globale Wirtschaft

Europa sollte anerkennen, dass die Golfstaaten längst auch global an Einfluss gewonnen haben, mahnt Sons. Zugleich legt er dar, in welchen Wirtschaftsbereichen die Golfmonarchien eine führende Rolle spielen. So gehören der kuwaitische KIA, der ADIA der Vereinigten Arabischen Emirate sowie der saudische PIF zu den fünf finanzstärksten Staatsfonds der Welt. Der PIF hält nicht nur in Saudi-Arabien große Anteile an wichtigen Unternehmen und Finanzinstituten, er hat auch enorme Summen in ausländische Firmen investiert, etwa in Microsoft oder das Gaming-Unternehmen Electronic Arts. Katar ist an prestigeträchtigen Unternehmen wie Harrods, Louis Vuitton oder Porsche beteiligt.

Die Golfstaaten wollen sich als unersetzliche Partner in der Wasserstoffproduktion positionieren.Sebastian Sons

Auch wenn ein Großteil der Staatseinnahmen nach wie vor aus der Ölproduktion stammt, bemühen die Golfstaaten sich um Alternativen. Besonders intensiv treiben sie die Produktion von grünem Wasserstoff voran, dem erhofften Exportschlager der Zukunft. Die Klimaschutzbestrebungen sind allerdings weitgehend von Geschäftsinteressen geleitet: Je mehr erneuerbare Energien die Golfmonarchien im Inland nutzen, desto mehr Öl und Gas können sie exportieren.

Internationale Beziehungen: zwischen Austausch und Abgrenzung

Außenpolitisch bauen die Golfstaaten ihre Macht ebenfalls aus. Sons zeigt, wie sie den Wandel zu einer multipolaren Weltordnung nutzen, um ihre Interessen zu verfolgen und sich unentbehrlich zu machen. Um sich zu behaupten, bewegen sich die Herrscher auf einem schmalen Grat zwischen Austausch mit und Abgrenzung zu anderen Nationen.

Um sich in einer Welt des Wandels zu behaupten, wählen die Herrscher am Golf einen Weg aus Konfrontation und Kompromiss, aus Dialog und Dämonisierung, aus Austausch und Ausgrenzung.Sebastian Sons

Während die Beziehungen Saudi-Arabiens zu den USA mit der Präsidentschaft Joe Bidens immer frostiger geworden sind, wendet sich das Land und mit ihm andere Golfmonarchien der Volksrepublik China zu. Sie ist mittlerweile wichtigster Handelspartner fast aller Golfstaaten. Eine vollständige Abkehr von den USA liefe deren Interessen jedoch entgegen, sodass etwa Saudi-Arabien sich darum bemüht, eine neutrale Stellung zwischen den beiden Rivalen einzunehmen. Die Golfmonarchien sehen sich dem Autor zufolge als Pendelmächte, die mit allen Lagern Gespräche führen. Deshalb stimmte auch Kuwait als einziger Golfstaat für die erste UN-Resolution, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilte.

Deutschland braucht eine klare politische Strategie

Der Ukrainekrieg ist für Sons ein deutliches Zeichen, dass gerade Deutschland eine klare politische Strategie für den Umgang mit den Golfmonarchien braucht. Schließlich importiert es kaum noch russisches Gas und Öl und ist daher auf die Golfstaaten angewiesen, um die Energieversorgung zu sichern. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland nicht nur Wirtschaftsbeziehungen zur Golfregion pflegt, sondern auch in der Migrations- und Entwicklungspolitik, in Kultur und Sport sowie in der Klimadiplomatie enger mit den Golfmonarchien zusammenarbeitet. Dazu sollte es seine Haltung gegenüber den Golfstaaten kritisch reflektieren und nicht den Eindruck erwecken, die Menschen am Golf bevormunden zu wollen.

Eindringlich plädiert Sons für eine intensivere Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen in der Golfregion. Sein Buch wirft damit nicht nur einen kenntnisreichen Blick auf die Realität der Golfmonarchien. Es regt zugleich dazu an, alte Vorurteile und die eigene Überheblichkeit infrage zu stellen. Damit ebnet es den Weg für einen ehrlichen Austausch, der Gegensätze anerkennt, Widersprüchlichkeit akzeptiert und den Wandel in der Golfregion aktiv mitgestaltet.

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