Die Frau mit der Schere
Der Codebreaker

Die Frau mit der Schere

Die Entdeckung der DNA ebnete den Weg für die Gentechnik, die zu einer Schlüsseltechnologie der Zukunft wird. Jennifer Doudna hat das Editieren von Genen maßgeblich vorangebracht und dafür 2020 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Ihre Geschichte zeigt, wie spannend Wissenschaft sein kann.

Bis 2019 ging der Nobelpreis für Chemie 177-mal an Männer und lediglich 5-mal an Frauen. 2020 kamen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier hinzu: Sie erhielten den Preis „für die Entwicklung einer Methode zur Genom-Editierung“, die sogenannte CRISPR/Cas-Methode. Für Walter Isaacson, der Jennifer Doudnas Leben und Leistungen in gewohnt packender Weise porträtiert, war dies eine deutliche und überfällige Anerkennung nicht nur der Leistungen von Doudna und Charpentier. Die zentrale Botschaft seines Buchs: Frauen können nicht nur Wissenschaftlerinnen, sondern große Wissenschaftlerinnen sein!

Jennifer Doudna selbst gelangte schon in jungen Jahren zu dieser Erkenntnis, als sie im beeindruckenden Buch Die Doppelhelix von James Watson las, welche entscheidende Rolle bei der Entdeckung der Struktur des DNA-Moleküls durch Watson und Francis Crick deren Kollegin, die Strukturbiologin und Kristallografin Rosalind Franklin spielte.

Die Geschichte von Watson, Crick und Franklin war eine von Konkurrenz und Kollaboration, davon, empirische Daten mit Theorien zu einem Reigen zu vereinen und mit rivalisierenden Forschungseinrichtungen ein Rennen um den Sieg auszutragen.Walter Isaacson

Walter Isaacson hat bereits Biografien über den Apple-Gründer Steve Jobs, den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, über Albert Einstein, Leonardo da Vinci und andere geschrieben. Wie seine vorherigen Protagonisten hat er auch Jennifer Doudna, die er zur Hauptfigur dieser Biografie macht, über viele Jahre begleitet und immer wieder interviewt. Doudna war maßgeblich an der Entwicklung jener „Genschere“ beteiligt, die es Wissenschaftlern heute ermöglicht, Gene gezielt zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, also zu editieren.

Gentechnik: mehr pro als contra?

So eng Isaacson Doudna auch begleitet hat, macht er keinen Hehl daraus, dass  wissenschaftliche Forschung in den allermeisten Fällen eine Mannschaftsleistung ist. Er stellt deshalb nicht nur Doudna, sondern auch Emmanuelle Charpentier und andere Akteure wie Doudnas Lehrer, Förderer, Kollegen und Mitarbeiter ausführlich vor und zeigt, wie sie einander unterstützt und vorangebracht haben. Seine Schilderungen zeigen, wie selbst erbitterte Konkurrenten und Gegenspieler sich als wertvoll erweisen können, indem sie einander zu Höchstleistungen motivieren. 

Isaacson gewährt tiefe Einblicke in die Welt der Spitzenforschung – in die Denk- und Arbeitsweisen, die Eitelkeiten und Empfindlichkeiten von Wissenschaftlern. Er zeigt zudem, welche Schlüsselrolle die Biochemie, insbesondere die Genforschung, in den letzten Jahrzehnten erlangt hat. Während der Corona-Pandemie hat sie sich durch die rasante und zielgenaue Bereitstellung von Tests und Impfstoffen unentbehrlich gemacht und gewaltig an Renommee gewonnen. Doch auch gegen zahlreiche andere Erkrankungen wie Krebs und sogar erbliche Defekte stellt sie bereits wirksame Instrumente bereit – und wir das in Zukunft noch viel öfter tun. In diesem Licht erscheint die in Europa weit verbreitete Ablehnung der Gentechnik doch als recht kurzsichtig.

Sobald man jemandem ins Gesicht gesehen hat, der an einer Erbkrankheit leidet, vor allem einer wie Chorea Huntington, versteht man nicht mehr, warum man auf Geneditieren verzichten soll.Walter Isaacson

Isaacson präsentiert die Genforschung als spannendes und attraktives Betätigungsfeld – die Zukunftswissenschaft schlechthin. Life-Sciences bieten wissbegierigen und ehrgeizigen jungen Menschen wie damals Doudna zahlreiche Möglichkeiten, im Kampf gegen schwere Krankheiten mitzumischen und damit menschliches Leid zu verringern. Höchste Auszeichnungen winken.

Konkurrenz und Zusammenarbeit

Jennifer Doudna wurde 1964 geboren und verbrachte ihre Kindheit auf Hawaii, wo sie sich schon früh für Naturphänomene interessierte. Das erwähnte Buch von James Watson prägte sie nachhaltig. Allen Widerständen zum Trotz begann sie nach der Highschool im kalifornischen Pomona Chemie zu studieren. Für ihren Master und ihre Dissertation wechselte sie nach Harvard.

Die DNA als Verwalterin der Erbinformationen ist vielleicht das bekannteste Molekül der Welt. Doch ihr Schwestermolekül, die RNA, ist wesentlich aktiver. Jack Szostak, Doudnas Doktorvater, wendete sich entgegen dem allgemeinen Trend der RNA zu. Doudna beschloss, sich bei ihren Forschungen ebenfalls auf die RNA zu konzentrieren. Szostak und Doudna wagten sich auf der Suche nach den Ursprüngen des Lebens in unbekannte Regionen vor. So machte Doudna sich einen Namen und fand schließlich über mehrere Stationen nach Berkeley.

Ihnen wurde klar, dass sie eine Methode zum Umschreiben des Codes des Lebens entwickelt hatten.Walter Isaacson

Detailliert zeichnet Isaacson Doudnas Werdegang nach: ihre Erfolge, wie sie ihr eigenes Labor eröffnete, wie sie 2011 Emmanuelle Charpentier begegnete, welche wissenschaftlichen Durchbrüche den beiden in ihrer jahrelangen Zusammenarbeit gelangen, wie der Wettlauf mit Feng Zhang zu anhaltenden Streitigkeiten um Rechte und Patente führte, wie sie und Charpentier sich entfremdeten und wieder zusammenfanden, und wie in der Corona-Krise schließlich selbst konkurrierende Forscher kooperierten. Isaacson zeigt auf faszinierende Weise, wie spannend und inspirierend Wissenschaft sein kann. Forscher brauchen Mut, Fantasie, Fleiß und Durchhaltevermögen. Mit einem Eremitendasein im sprichwörtlichen Elfenbeinturm hat ihr Leben meist sehr wenig zu tun.

Ethische Fragen erweisen sich als vielschichtig und komplex.

Ein Buch über eine Gentechnik kommt nicht an ethischen Fragen vorbei. Isaacson scheut nicht davor zurück und widmet ihnen viel Raum, ohne sich zu einfachen Antworten hinreissen zu lassen. So gewinnt etwa die Frage, ob Genforscher gewissermaßen „Gott spielen“ dürfen, eine völlig andere Dimension, wenn es um einen konkreten Menschen geht, der durch relativ einfaches Geneditieren von einer bislang unheilbaren, schweren Krankheit befreit werden könnte. Gleichzeitig sieht Isaacson das Ziel der totalen Perfektionierung des Menschen kritisch. Soll jede Behinderung ausgemerzt werden, wenn doch viele Beispiele – nicht zuletzt berühmte wie Vincent van Gogh oder Miles Davis – zeigen, wie individuelles Leiden in Energie und Kreativität umgewandelt werden und letztlich die Welt bereichern kann?

Wollen wir eine Welt ohne van Goghs?Walter Isaacson

Was soll erlaubt sein und was nicht? Der chinesische Biophysiker He Jiankui setzte sich über alle geltenden Regeln und Vereinbarungen hinweg, als er einen genetischen Eingriff an den Embryonen von Zwillingen vornahm, die im November 2018 geboren wurden. Viele Kollegen waren geschockt, und He wurde mit einer Haftstrafe und lebenslangem Berufsverbot belegt.

Jennifer Doudna hat einen besonneneren und erfolgreicheren Weg gewählt. Isaacsons Biografie endet mit ihrem Nobelpreisgewinn – und der Autor verhehlt nicht, dass er damit auch selbst sehr viel Glück hatte. Als er sich entschieden hatte, Doudnas Werdegang nachzuzeichnen, konnte er nicht ahnen, mit welchen Lorbeeren seine ebenso sympathische wie ehrgeizige Protagonistin dereinst bedacht werden sollte.

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