Es ist völlig egal, ob wir für oder gegen etwas sind. Wie wir darüber denken und was wir am Ende tun, bestimmt immer der jeweilige Deutungsrahmen. Es lohnt sich also, diesen im eigenen Sinne zurechtzurücken.
Am Anfang war der Frame
Was tun Sie, wenn Sie von einer Mücke gestochen oder einer Bettwanze gebissen werden? Vermutlich abklatschen oder den Kammerjäger anrufen. Und was denken Sie, wenn von Zuwanderern als „Parasiten“ oder „Schmarotzern“ die Rede ist? Für die Linguistin Elisabeth Wehling ist das keine rein rhetorische Frage. Denn ihre Prämisse lautet: Sprache bestimmt unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Hinter Worten oder Sätzen steht demnach nicht ein bestimmtes Konzept, sondern ein ganzer Deutungsrahmen – in der Kognitionswissenschaft Frame genannt –, der weit über die Ursprungsbedeutung hinausgeht, unsere Weltsicht beeinflusst und konkrete Taten auslöst. Wenn ich beispielsweise „Hammer“ sage, erscheint nicht nur das Bild eines Hammers vor meinem inneren Auge, sondern mein Gehirn simuliert auch die Armbewegung des Hämmerns.
Worte – oder genauer gesagt: über Worte aufgerufene Frames – haben nicht nur unser Denken und unsere Wahrnehmung, sondern auch unser Handeln fest im Griff.
Elisabeth Wehling
Dieser Mechanismus funktioniert auch umgekehrt: Was beispielsweise in einem politischen Diskurs nicht gesagt wird, wird irgendwann auch nicht mehr gedacht und getan. Deshalb sollten wir gar nicht erst versuchen, ideologische Frames zu vermeiden, sondern diese bewusst einsetzen, um dem jeweiligen politischen Gegner nicht kampflos das Feld zu überlassen.
Steuerzahler sind dumme Esel und Sozialhilfeempfänger faule Socken
Wehling, die in einem sozialdemokratischen Elternhaus aufwuchs, macht keinen Hehl daraus, dass sie den Gegner rechts des politischen Spektrums verortet. Sie kritisiert, dass in der deutschen Politikdebatte die Steuerzahler entweder „belastet“, „gemolken“ oder „gejagt“ werden – und dass deshalb, wer Steuern zahlt, als dummer Esel oder blöde Kuh dasteht. Dem „Steuerflüchtling“ bleibt nichts anderes, als „Schlupflöcher“ zu finden, ins „Asyl“ zu gehen oder sich ein „Paradies“ zu suchen. Nach Ansicht der Autorin sind Steuern jedoch etwas Positives. Sie würde den Begriff „Steuerlast“ am liebsten durch „Steuerverantwortung“ ersetzen – und wundert sich darüber, dass manche Grünen-Politiker das nicht genauso sehen.
Außerdem kritisiert sie, dass „Leistungsträger“ in unserer Gesellschaft immer aus eigener Kraft gewinnen, während Sozialhilfeempfänger ohne Not in der sozialen „Hängematte“ liegen oder hilflos am „Tropf“ hängen. Wir reden moralisierend von „unerwünschten“ anstatt von „ungeplanten“ Schwangerschaften, und der Begriff „Erderwärmung“ vermittelt ein falsches Gefühl von Gemütlichkeit: „Erderhitzung“, so Wehling, wäre der Sachlage angemessener.
Die „Flüchtlingswelle“ macht Aufnahmegesellschaften zu Opfern
Besonders problematisch ist für sie der Umgang mit den Themen Flüchtlinge, Migration und Islam. Wenn Menschen entweder als Ungeziefer oder als „Flut“ und „Tsunami“ gedacht werden, dann verwandeln sich schutzbedürftige Menschen in schreckliche Naturgewalten und die Bevölkerung der Aufnahmeländer in Opfer einer Katastrophe. Und wenn von „Islamophobie“ die Rede ist, wird es richtig gefährlich: Mit Phobien assoziieren wir Panik, Ekel oder enge Räume – Gefühle, gegen die wir uns instinktiv zur Wehr setzen, ohne uns dafür rechtfertigen zu müssen.
Islamfeindliches Denken ist eine Geisteshaltung, keine klinische Angststörung. Und gegen Muslime gerichtetes Handeln geschieht nicht im Affekt.
Elisabeth Wehling
Natürlich behauptet Wehling nicht, dass der Begriff „Islamophobie“ automatisch zu rechten Gewaltverbrechen oder die „Steuerlast“ zur Steuerhinterziehung anstiftet. Aber sie betont, dass Frames unser Denken und Handeln immer beeinflussen, egal ob wir uns für die Flüchtlingshilfe einsetzen oder auf Pegida-Demos mitmarschieren – frei nach Paul Watzlawicks berühmtem Satz aus Menschliche Kommunikation: Man kann nicht nicht framen!
Wann wird aus Framing Manipulation?
Die Autorin hat Politikern und Medienschaffenden häufig in Talkshows die Leviten gelesen. Doch dann geriet sie Anfang 2019 selbst ins Kreuzfeuer: In einem internen Framing-Gutachten für die ARD hatte sie nach Meinung ihrer Kritiker „Gehirnwäsche“ betrieben. Denn sie empfiehlt darin unter anderem, die Gebührenzahler der öffentlich-rechtlichen Sender nicht als Kunden anzusprechen, sondern als Bürger mit Interesse an einem „gemeinsamen, freien Rundfunksystem“. Den privaten Rundfunk könne man wahlweise als „profitmaximierende Sender“ oder gar „medienkapitalistische Heuschrecken“ framen. Die Empörung unter den Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war groß, zumal das Dokument erst unter Verschluss gehalten und dann gegen den Willen der ARD von Bloggern auf netzpolitik.org veröffentlicht wurde.
Elisabeth Wehling zeigte sich schockiert. „Das Papier wird instrumentalisiert für eine politische Skandalisierung“, sagte sie in einem ZEIT-Interview. Egal auf welcher Seite man in dieser Kontroverse steht – sie offenbart, was zu beweisen war: die Unmöglichkeit ideologiefreier Debatten. Wenn die eine Seite bestimmte Medienorgane routinemäßig als „Staatsfunk“, „Systemschurken“ oder „Lügenpresse“ verunglimpft, warum ist der Frame der Profitmaximierung dann ein Skandal? Wenn Zuwanderer routinemäßig als Parasiten geframet werden, weshalb empören sich manche über das Heuschrecken-Label für Hedgefonds-Manager?
Tatsächlich trägt die Autorin kaum zur verbalen Abrüstung bei. Die begrifflichen Alternativen, die sie vorschlägt, bringen die jeweils andere Seite regelmäßig auf die Palme. Außerdem ist es fraglich, ob Abrüstung im Rahmen gegenwärtiger Politikdebatten überhaupt eine Chance hätte. Doch unabhängig davon ist das Buch eine willkommene Anregung, intensiver über Sprache nachzudenken und besonnener zu handeln.