Mit Die Welt ist flach hat der Starjournalist Thomas Friedman bereits 2005 „eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts“ vorgelegt, so der Untertitel. Reichlich früh, konnte man schon damals ahnen. Rund zwei Jahrzehnte später ist klar, dass Friedman manche wichtige Entwicklungen noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Als frühe und hellsichtige Betrachtung der Globalisierung hat das Buch aber dennoch einen Wert.
Eine frühe Betrachtung der Globalisierung
Der langjährige New-York-Times-Journalist und dreifache Pulitzerpreisträger Friedman gilt als einer der weltweit angesehensten Journalisten. Das Buch geht zurück auf eine Recherchereise, die die Sicht des Autors auf die Welt völlig auf den Kopf stellte. Friedman war nach Indien aufgebrochen, um in Bangalore die Entwicklung der dortigen Hightechbranche zu untersuchen. Was er dort entdeckte, machte ihn fast sprachlos. Inmitten einer Gesellschaft, die von Armut, einer oft katastrophalen Infrastruktur und zahlreichen ethnischen Konflikten geprägt war, existierten modernste Unternehmen wie beispielsweise Infosys Technologies. Ausgestattet mit der neuesten Computer- und Telekommunikationstechnik arbeiteten diese Firmen von Indien aus für die ganze Welt. Sie entwickelten Softwareprogramme, erledigten Verwaltungsaufgaben wie Steuererklärungen, beantworteten Kundenfragen in Callcentern, warteten Computer, werteten medizinische Untersuchungen aus, verfassten Wirtschaftsnachrichten, gaben Nachhilfe oder führten Forschungsprojekte durch – und zwar vor allem für Kunden in Amerika und Europa.
Durch Technik wird der Globus „flach“
In Bangalore zeigte sich für Friedman deutlicher als anderswo, welche Macht von Internet, E-Mail, Computerprogrammen und Telekommunikationsnetzen ausgeht. Laut Friedman ist die Welt mit einem Mal keine Kugel mehr. Die neue Technik ebnet sie vielmehr ein, macht sie flach, da Menschen überall auf der Welt rund um die Uhr miteinander kommunizieren und arbeiten können.
Es gibt nichts, was die Welt stärker einebnet als die Idee, das Wissen der Welt oder zumindest einen großen Teil davon jedem zu jeder Zeit und an jedem Ort zugänglich zu machen.Thomas L. Friedman
Friedman vergleicht die Situation mit der vor rund 200 Jahren. Drehte sich vor dem Jahr 1800 alles um die Ausschöpfung der physischen Kräfte der Menschen und der Natur durch die einzelnen Unternehmen und Staaten, waren danach bis zum Jahre 2000 die weltumspannenden Konzerne der entscheidende Motor. In der nun beginnenden dritten Phase der Globalisierung sind es die Individuen, die zur Antriebskraft geworden sind. Mithilfe von Computern, Glasfaserkabeln und einfach zu bedienender Standardsoftware holen sie sich die Welt an den Ort, an dem sie gerade arbeiten. Für die westlichen Industriestaaten sagt Friedman aufgrund dieser Entwicklung das Ende ihrer Vorherrschaft voraus. Dagegen würden zunehmend Länder wie Indien und China das Geschehen auf dem Globus prägen: wegen der niedrigen Lohnkosten und der exzellenten Ausbildung ihrer Einwohner.
Gemäß Friedman haben bestimmte Ereignisse dazu beigetragen, dass die Globalisierung um das Jahr 2000 eine ganz neue Richtung einschlug. Einer der wichtigsten Faktoren war der Fall der Berliner Mauer 1989. Diese Veränderung brachte nicht nur den meisten Staaten der Erde die politische Freiheit. Sie sorgte letztlich auch dafür, dass die Welt wirtschaftlich immer mehr zusammenwuchs. Fast zur selben Zeit trat der Heimcomputer seinen Siegeszug an und Microsoft stieg mit Windows zum führenden Anbieter von Betriebssystemen auf. Die Öffnung der Mauer ermöglichte weltweite Standards in der Technik, die das globale Wirtschaften vereinfachten. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferten das Internet und die E-Mail-Funktion mit ihren unendlichen Kommunikationsmöglichkeiten.
Ein weiteren wichtigen Faktor für das Zusammenschrumpfen der Welt sieht Friedman in der Entwicklung sogenannter Workflow-Software, die die Arbeitsabläufe in Organisationen deutlich vereinfacht und beschleunigt. Weitere Globalisierungstreiber sind die Möglichkeiten, Daten von Servern aus der ganzen Welt auf den eigenen PC herunterzuladen, Firmenaufgaben in andere Länder zu verlagern, Wertschöpfungsketten über den gesamten Globus zu erstrecken oder Informationen durch Suchmaschinen wie Google leichter zu beschaffen. Zudem haben die kabellose Kommunikation per WLAN, immer bessere Rechnerleistungen, stetig anwachsende Speicherkapazitäten und zunehmend kleinere Geräte den Zugriff aufs Internet selbst im entlegensten Winkel der Welt möglich gemacht.
Die Gefahren der flachen Welt
Bei aller Begeisterung für technische Neuerungen und die Chancen, die sie eröffnen, verschweigt Friedman auch nicht die negativen Seiten der Globalisierung. Denn neben den vielen Chancen, die sie der Wirtschaft bietet, öffnet sie beispielsweise auch Terroristen und Kriminellen neue Wege für ihre Aktionen. Terroristen laden von den Servern rund um die Welt Anleitungen für Bomben herunter oder holen genaueste Informationen für ihre Ziele ein. Zudem verbreiten sie ihre extremistischen Parolen für wenig Geld in Sekundenschnelle über den ganzen Globus. Kinderpornografie ist längst zu einem ernsten Problem der Onlinegemeinde geworden. Zudem kann jedermann über Websites ganz bewusst Gerüchte und falsche Daten verbreiten. Dieses Problem hat sich bekanntermaßen durch Social Media und künstliche Intelligenz noch erheblich verschärft.
Zweifellos befinden sich China und Indien in einer besseren Ausgangsposition, weil zumindest ein Teil ihrer Bevölkerung in der flachen Welt lebt.Thomas L. Friedman
Friedman sieht auch die Gefahr, dass die Gräben zwischen den Nationen tiefer werden könnten. Weil etwa in Afrika viele Regierungen korrupt und die Menschen arm, krank und machtlos sind oder sich von der westlichen Welt erniedrigt fühlen, wird ihnen der Zugang zu den technischen Möglichkeiten der flachen Welt verwehrt. Außerdem ist nicht auszudenken, wie die Umwelt belastet würde, wenn alle Staaten über den gleichen Wohlstand wie die Industrienationen verfügten. Friedman mahnt darum: Wer den Erfolg der flachen Welt will, darf nicht nur den freien Handel unterstützen, sondern muss sich auch für Umweltschutz und Energieeffizienz starkmachen.
Das Buch wimmelt nur so von farbigen Geschichten aus der ganzen Welt, die meisten drehen sich um den Einsatz der neuen Kommunikationstechnologien. Friedman zeigt, wie das globale Informationszeitalter unseren Alltag bereits verändert hat und welche Möglichkeiten, aber auch welche Gefahren darin für alle Länder liegen. Die Vielzahl an Fakten stellt er immer wieder in einen großen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang. Vor allem aber will der Autor Mut machen, sich dieser Entwicklung zu stellen. All das meistert er mit Bravour.