Der Kapitalismus basiert auf der Idee grenzenlosen Wachstums. Auf einer Erde mit endlichen Ressourcen ist das aber eine Idee mit Verfallsdatum. Inzwischen ist weithin anerkannt, dass die Klimaerwärmung begrenzt werden muss. Doch dass wir dafür dem Wachstumsimperativ und damit auch dem Kapitalismus jetziger Ausprägung abschwören müssen, wollen viele nicht einsehen. Dabei muss ein Ende des Kapitalismus durchaus nicht das Ende des guten Lebens bedeuten, wie Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz, in ihrem Buch Das Ende des Kapitalismus kenntnisreich darlegt.
Mit einer britischen Kriegsidee den Klimawandel besiegen
Der Kapitalismus beruht auf einem Zwang zum Wachstum
Die Menschen in kapitalistisch geprägten Ländern verdanken dem Kapitalismus Wohlstand und mehr Gleichberechtigung, hält Ulrike Herrmann zu Beginn fest. Wenn die Wirtschaft wächst, gibt es mehr für alle. Auf diese Weise hat sich die weltweite Armut in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Kinder sind zu 80 Prozent geimpft, 80 Prozent der Familien mit Strom versorgt.
Doch das Wirtschaftswachstum, das den Kapitalismus stabil hält, geht auf Kosten der Natur, so Herrmann. Sie belegt dies wie viele andere ihrer Argumente mit eingängigen Zahlen und Verweisen: Deutsche, Österreicher und Schweizer konsumieren demnach, als stünden ihnen die Ressourcen dreier Erden zur Verfügung. Amerikaner, Kanadier und Australier kämen gar auf einen Verbrauch von fünf Erden. Dabei ist längst bekannt, dass unbegrenztes Wachstum katastrophale Folgen hat. Stichwort Klimawandel. Auch hierzu ein griffiges Beispiel aus Herrmanns Buch: Im Sommer 2021 wurde in Lytton die Rekordtemperatur von 49,6 Grad gemessen. Lytton liegt weder in Afrika noch in Asien, sondern in Kanada. Die Wälder dort brannten ab, das Dorf wurde zu Asche.
Technologie wird das CO2-Problem nicht lösen
Wird der technische Fortschritt unser CO2-Problem lösen? Ulrike Herrmann analysiert verschiedene technische Möglichkeiten, in deren Weiterentwicklung große Hoffnungen gesetzt werden. Eine davon nennt sich Sequestierung – eine Art Staubsauger für CO2. Doch die Autorin bilanziert nüchtern: Für das Filtern und Einlagern wird fast so viel zusätzliches CO2 verbraucht, wie eingesammelt wird.
Auch für andere technische Lösungen ist Herrmann nicht optimistischer. CO2 lässt sich nicht einfach und günstig einfangen und entsorgen. Wir werden demnach auf fossile Brennstoffe verzichten und auf Ökoenergie umsteigen müssen. Auch die Atomenergie hilft uns nicht aus der Patsche. Laut Herrmann ist sie die einzige Branche, bei der die Kosten ständig stiegen. Selbst ohne Betrachtung der Kosten für die Endlagerung.
Deutschland kann nur dann klimaneutral werden, wenn es seinen Ökostrom zu Hause produziert.
Wie steht es um die alternativen Energien, um Sonne und Wind? Die Sonne scheint nur tagsüber, und auch das nicht immer. Der Wind kann tage-, gar wochenlang ausbleiben. Verlässlichkeit, wie von der Industrie oder von Krankenhäusern gefordert, ist damit nicht zu haben. Strom aus der Wüste zu uns zu transportieren, ist technisch schwierig und extrem teuer. Auch Wasserstoff als Energieträger ist nur auf den ersten Blick vielversprechend. Bleibt für die Deutschen laut Herrmann nur die Lösung, den Ökostrom vor Ort in Deutschland zu produzieren.
Grünes Wachstum gibt es nicht, eine grüne Wirtschaft muss schrumpfen
In der Debatte um die nachhaltige Wirtschaft der Zukunft stehen sich zwei Lager gegenüber: Die einen sehen den Ausweg in „Degrowth“, also letztlich weniger Konsum. Das andere Lager will dem Kapitalismus ein grünes Gewand anlegen und spricht von grünem Wachstum. Herrmann sieht Letzteres als Irrweg, denn dafür reiche schlicht die Energie nicht aus. Die Lösung heißt laut Herrmann nicht grünes Wachstum, sondern grünes Schrumpfen. Wir werden auf einiges verzichten müssen, wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels effektiv begrenzen wollen. Das müsse aber kein Verlust an Lebensqualität sein, betont die Autorin. Die Lebensqualität in den Städten könne sogar steigen und viele neue, zukunftsfähige und sichere Arbeitsplätze könnten entstehen. Zudem zeige die Glücksforschung, dass mit der Wirtschaft nicht unbedingt auch die Zufriedenheit wachse. Der Sinn des Lebens bestehe nicht in ständig wachsendem Konsum. Das einzige immer rare Gut in unserem Leben sei die Zeit. Weniger zu konsumieren und gleichzeitig weniger zu arbeiten, könne darum durchaus befriedigend sein.
Die britische Kriegswirtschaft kann als Vorbild für kontrolliertes Schrumpfen dienen
Von diesem Punkt an begibt sich Ulrike Herrmann auf die Suche nach der passenden Wirtschaftsordnung für die Zukunft. Fündig wird sie beim Blick zurück: auf die Kriegswirtschaft der Briten ab 1939. Für den Krieg mussten auch die Briten Opfer bringen. Zwei Drittel ihrer Industriekapazitäten flossen in die Aufrüstung des Militärs. Für die Zivilbevölkerung blieb entsprechend weniger. Dennoch mussten die Briten nicht hungern. Manche Lebensmittel und andere Produkte waren aber rar und wurden rationiert. Ein Rationierungsprogramm, bei dem alle gleich behandelt wurden, stärkte laut Herrmann den Zusammenhalt und galt als einer der größten Erfolge an der Heimatfront. In kürzester Zeit fiel der Konsum um ein Drittel.
Rationierung klingt unschön. Aber vielleicht wäre das Leben sogar angenehmer als heute, denn Gerechtigkeit macht glücklich.
In Deutschland werde ein ähnlicher Verzicht nötig werden, wenn auch weniger einschneidend, sagt Herrmann. Denn Deutschlands Wirtschaft ist in den vergangenen 80 Jahren um das Zehnfache gewachsen. Bliebe von diesem Wohlstandszuwachs nur die Hälfte, lebten wir noch immer wie im Jahr 1978. Damals fühlte sich das Leben kaum anders an, allenfalls gemächlicher. Man fuhr drei Wochen mit dem Auto in den Urlaub nach Italien, statt für mehrere Kurzurlaube in den Flieger zu steigen.
Herrmann hat für ihren Vorschlag auf der Haben-Seite, dass diese Rationierungswirtschaft bereits funktioniert hat. Noch dazu in einem europäischen Land, warum also sollte sie nicht auch auf Deutschland, Frankreich oder Italien übertragbar sein? Der größte Unterschied zur heutigen Situation dürfte darin bestehen, dass die Briten 1939 den Feind förmlich vor Augen hatten und die Auswirkungen des Krieges allgegenwärtig waren. Der Verursacher aller Probleme war mit Nazideutschland klar zu identifizieren. Ganz anders der Klimawandel als Folge des kapitalistischen Wirtschaftens: Das ist ein Thema, das vielen immer noch abstrakt erscheint, weil die Entwicklung langsam erfolgt. Mancher zweifelt die Ursachen dafür an oder hofft auf den Segen neuer Technologie. Damit dürften sich die Menschen weniger leicht dazu bewegen lassen, gemeinsam auf eine neue Linie einzuschwenken.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin bei der taz.