Wir Menschen haben unseren Planeten so massiv verändert wie kein anderes Lebewesen zuvor. Doch in unserem grenzenlosen Expansionsdrang entziehen wir uns die eigene Lebensgrundlage. Johannes Krause und Thomas Trappe erklären, wie es dazu kam – und wo es womöglich hinführt.
Wie vernünftig ist der Homo sapiens?
Der DNA unserer Vorfahren auf der Spur
Die junge Wissenschaft der Archäogenetik fordert ihre große Schwester, die Archäologie, gehörig heraus. Seit vorzeitliche Knochenfunde genetisch analysiert werden können, mussten Archäologen bereits etliche Hypothesen revidieren. Johannes Krause, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, präsentiert gemeinsam mit dem Journalisten Thomas Trappe einem breiten Publikum die neuesten Erkenntnisse seines Fachgebiets. Hybris ist nach Die Reise unserer Gene bereits das zweite Buch des Autorenduos zu einem Trendthema. Adam Rutherfords Eine kurze Geschichte von jedem, der jemals gelebt hat etwa oder Silvana Condemis Der Neandertaler, unser Bruder setzen jeweils andere Schwerpunkte, machen aber einstimmig deutlich, dass wir die Menschheitsgeschichte neu betrachten müssen.
Die Archäogenetik zeigt, dass der Aufstieg des Homo sapiens zum Herrscher über die gesamte Welt nicht so geradlinig verlief wie lange Zeit angenommen. DNA-Analysen etwa legen nahe, dass unsere Vorfahren in Europa mindestens 5000 Jahre lang neben und mit Neandertalern lebten. Heute noch trägt jeder Mensch außerhalb von Afrika durchschnittlich 2 Prozent Neandertaler-DNA in sich.
Der lange Weg an die Spitze der Schöpfung
Auf dem Weg an die Spitze der Schöpfung musste der Homo sapiens viele Rückschläge hinnehmen. Warum ausgerechnet er sich gegen die verschiedenen Arten von Urmenschen durchsetzte, lässt sich rückblickend kaum sagen. Krause und Trappe halten sich mit Spekulationen hierzu zurück. Stattdessen beschreiben erklären sie die Unterschiede zwischen dem Homo sapiens und anderen Urmenschen. Ein wesentlicher Faktor war offenbar die Kultur. Funde, die auf hoch entwickelte Bestattungsrituale schließen lassen – etwa kunstvoll gefertigte Flöten, Skulpturen und Höhlenmalereien oder verschiedene Arten von Grabbeigaben deuten darauf hin, dass der Homo sapiens sich nicht mehr allein um sein Überleben sorgen musste. Er konnte sich auch darum kümmern, wie er lebte.
Sobald der erste Mensch auf die Idee kam, einen Vogelknochen so zu präparieren, dass er ein Geräusch und mit etwas Übung eine Melodie hervorbrachte, könnte der erste Dominostein gefallen sein, der die Menschen zu immer filigraneren Leistungen anstachelte. Johannes Krause und Thomas Trappe
Wie andere Menschenarten breitete sich der Homo sapiens von Afrika nach Eurasien aus. Bestimmend für die Wanderbewegungen waren die klimatischen Verhältnisse. Lange Zeit etwa war Europa nur für Neandertaler bewohnbar, die an die dort herrschende Kälte angepasst waren. Eine große Rolle spielten zudem Naturkatastrophen. Das offenbar schlagartige Verschwinden des Homo sapiens aus dem heutigen China und Südostasien führen die Autoren wie viele andere Wissenschaftler auf den Ausbruch des Vulkans Toba auf der Insel Sumatra zurück. Der Vulkanausbruch tötete nicht nur die dort ansässigen Menschen, er zerstörte auch ihre Lebensgrundlage: die Tier- und Pflanzenwelt. Einer Klimasimulation der NASA zufolge lassen sich die Nachwirkungen des Ausbruchs mit denen eines Atomkriegs vergleichen.
Grenzenlose Expansion
Der Homo sapiens brauchte mehrere Anläufe für den Sprung von Afrika auf die arabische Halbinsel. Vor etwa 65 000 Jahren hatte er es dann geschafft. Anschließend konnten sich unsere Vorfahren dauerhaft im Nahen Osten behaupten und eine große, genetisch robuste Population aufbauen. Anders als zum Beispiel die Neandertaler, die alle Kraft darauf verwenden mussten, im eisig kalten Europa ihr Überleben zu sichern, konnte die Homo-sapiens-Population im klimatisch milden Nahen Osten an technischen Innovationen arbeiten. Das Wissen über die Natur wuchs stetig, immer mehr Kulturtechniken und Fertigkeiten wie die Herstellung von Kleidung, aber auch neuartige Jagdtechniken entwickelten sich. Der Homo sapiens wurde zu einem so effizienten Killer, dass er um sich herum alle Großfauna ausrottete.
Die Menschheit begann, sich den Begrenzungen der Natur zu widersetzen. Sie wurde selbst zur Naturgewalt.Johannes Krause und Thomas Trappe
Und noch eine weitere, folgenschwere Entwicklung stieß der Homo sapiens an: die Domestizierung von Tieren. Zuerst gelang ihm die Zähmung von Wölfen. Später kamen Nutztiere wie Schweine hinzu. Die Viehwirtschaft entstand. Parallel dazu wurde die Landwirtschaft geboren. Die Zeit der Jäger und Sammler ging zu Ende – auch deshalb, wie Krause und Trappe anhand vieler Beispiele zeigen, weil die Erde immer dichter besiedelt war und unsere Vorfahren einander in die Quere kamen. Sie bekämpften sich gegenseitig. Und sie unterwarfen die Natur.
Vom Homo sapiens zum Homo hybris
Der Hauptgrund für die Durchsetzungsfähigkeit des Homo sapiens liegt, vermuten Krause und Trappe, vermutlich in seinen Genen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass er die Landwirtschaft gleich an mehreren Orten jeweils unabhängig voneinander entwickelte? Offenbar verfügte der Homo sapiens über eine besondere Intelligenz.
Mit der Macht des Menschen wuchs der Glaube an die eigene Unbezwingbarkeit. Dieser Glaube gipfelte in der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Aus dem Homo sapiens wurde im 20. Jahrhundert der „Homo hybris“.
Das Schicksal der Menschheit wird im 21. Jahrhundert entschieden. Johannes Krause und Thomas Trappe
Im 21. Jahrhundert ist der Homo sapiens an seine Grenzen gekommen. Er beherrscht den ganzen Planeten, hat Maschinen mit übermenschlichen Fähigkeiten geschaffen und hat nur noch einen Gegner: sich selbst. Wachstumsgrenzen zu akzeptieren, so die These der Autoren, liegt nicht in der Natur des Menschen. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Vision, ins All zu expandieren. Deshalb haben sie einerseits wenig Hoffnung, dass wir unseren Untergang noch verhindern können. Andererseits sehen sie die Chance, dass der Mensch, der es so weit gebracht hat, doch auch die Möglichkeit hat, sich radikal zu wandeln. Ihr Buch endet mit dem Appell, den Sprung in eine Welt zu wagen, die den Menschen genügt.
Mit dieser Gegenüberstellung nehmen Krause und Trappe all jenen den Wind aus den Segeln, die die Menschheit geradewegs auf eine vernichtende Katastrophe zusteuern sehen; zugleich aber auch denjenigen, die davon überzeugt sind, dass Menschen sich durch Fortschritt aus der selbstverschuldeten Misere retten können. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen. Und zu einem nicht unerheblichen Teil auch in der menschlichen DNA. Das zeigt dieses Buch auf eindrückliche Art und Weise.