Ungleichheit ist seit Jahren Gegenstand der Debatten. Die Ökonomen Gabriel Zucman und Emmanuel Saez dokumentieren mit einer beeindruckenden Fülle historischer Daten, dass die Ungleichheit seit Ende der 1970er-Jahre stark angestiegen ist. Sie analysieren die Gründe und skizzieren ein besseres, gerechteres Steuersystem.
Mit Steuern die Welt gerechter machen
Man kann es sich heute kaum noch vorstellen: Die USA, das Mutterland des Kapitalismus, waren für mehr als fünf Jahrzehnte das Musterland der Steuergerechtigkeit. In Reaktion auf die katastrophale Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre setzte der New Deal in den USA ein „quasi-konfiskatorisches“ progressives Steuersystem für sehr hohe Einkommen in Kraft, so die Autoren. Betroffen davon waren Einkommen, die nach heutigem Wert über 1 Million Dollar betrugen. Sie wurden mit bis zu 90 Prozent besteuert, Unternehmensgewinne mit bis zu 50 Prozent und Erbschaften mit bis zu 80 Prozent. Mit der neoliberalen Wende der 1980er-Jahre unter Ronald Reagan kam es zu einer drastischen Veränderung. Proklamiert wurde nun ein „schlanker“ Staat, der sich aus der Wirtschaft heraushalten und sich darauf beschränken sollte, Eigentumsrechte zu sichern. Der Spitzensteuersatz wurde auf 28 Prozent gesenkt. Steuern zu umgehen oder gar zu hinterziehen wurde zum Kavaliersdelikt. Man verstand das als eine Art legitimer Selbstverteidigung der hart arbeitenden Bürger gegen einen angeblich gierigen Staat. Profitiert haben davon vor allem die Wohlhabenden. Sie konnten sich Berater leisten, die gegen entsprechendes Honorar gern dabei halfen.
Die klassischen Argumente sind nicht haltbar
Zucman und Saez nehmen in ihrem Buch einige der populärsten Lehrsätze der klassischen Ökonomie auseinander. Einer davon stammt von dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Arthur Laffer und betrifft die Frage nach dem optimalen Steuersatz. Wenn die Steuersätze zu hoch sind, so seine Überlegung, verlegen die Unternehmen ihre Sitze in andere Länder und die Menschen, vor allem die gut verdienenden, arbeiten weniger oder hören ganz damit auf. Daraus wird ein viel genutztes Argument gegen eine energische Besteuerung hoher Einkommen abgeleitet. Hohe Steuersätze auf solche Einkommen führen in dieser Logik am Ende zu niedrigeren Steuereinnahmen als weniger hohe.
Ein anderes Argument ist die sogenannte Trickle-down-Theorie. Sie besagt, dass der steigende Wohlstand der Wohlhabenden zu den unteren Schichten durchsickert und deshalb auch ihnen nützt. Ein weiterer Einwand gegen hohe Steuern lautet, dass die Besteuerung von hohen Einkommen zulasten der Kapitalbildung gehe, damit die Investitionstätigkeit reduziere und so letztlich auch den unteren Schichten schade.
Zucman und Saez nutzen die Wirtschaftsgeschichte der USA im 20. Jahrhundert als eine Art Feldstudie. Anhand einer eindrucksvollen Fülle von historischen Einkommens-, Vermögens- und Steuerdaten dokumentieren sie detailliert, dass die ökonomischen Theorien, die gegen eine angemessen hohe Besteuerung exzessiver Einkommen und Vermögen ins Feld geführt werden, einer empirischen Überprüfung nicht standhalten. So lässt sich eben kein Zusammenhang zwischen der Spar- und Investitionstätigkeit und der Höhe der Steuersätze nachweisen. Auch die Trickle-down-Theorie erweist sich als falsch. Zwar sind die Zuwächse der Reichen seit den 1980er-Jahren explodiert, die angeblich positiven Effekte für die ärmeren Menschen sind hingegen ausgeblieben. Im Gegenteil: Die Ungleichheit ist massiv angewachsen. Während zwischen 1946 und 1980 das durchschnittliche Einkommen fast aller Einkommensgruppen um 2 Prozent pro Jahr anstieg, stagnieren seitdem die Einkommen der unteren 50 Prozent. Die Einkommen der obersten 0,1 Prozent explodierten hingegen mit sagenhaften Steigerungsraten von bis zu 600 Prozent.
Warren Buffetts Sekretärin
Es sind nicht zuletzt Beispiele wie dieses, die die Thesen der Autoren anschaulich machen und die man so leicht nicht vergisst: Warren Buffett ist zwar einer der reichsten Menschen der Welt, zahlt aber prozentual weniger Steuern als seine eigene Sekretärin. 2015 betrug sein Vermögen rund 65 Milliarden Dollar. Angenommen, er hätte mit diesem Vermögen nur 5 Prozent Rendite erwirtschaftet, würde das einem Einkommen von 3 Milliarden Dollar entsprechen. Nach eigenen Angaben zahlte Buffett 2015 1,8 Millionen Dollar Steuern. Weil nur realisierte Gewinne besteuert werden und Vermögenszuwächse steuerfrei bleiben, beträgt sein Steuersatz bezogen auf den tatsächlichen Zugewinn lediglich 0,055 Prozent.
Mit Steuern die Welt verändern
Die beiden Ökonomen sind Träger der John-Bates-Clark-Medaille. Das ist einer der wichtigsten Preise für junge Wirtschaftswissenschaftler und nicht selten eine Empfehlung für einen Nobelpreis in der Zukunft. Die Autoren weisen nicht nur nach, dass die Ungleichheit dramatisch angestiegen ist, sie identifizieren auch die zentrale Ursache dafür: nämlich ein politisch gewolltes ungerechtes Steuersystem. Damit ist aber auch klar, dass eine Steuerreform ein effektiver Hebel dafür ist, Ungleichheit abzubauen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Die Autoren legen konkrete Vorschläge für eine umfassende Steuerreform vor. Dazu gehören eine moderate Vermögenssteuer von 2 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen Dollar bzw. von 3,5 Prozent für Vermögen über 1 Milliarde Dollar. Außerdem eine Einkommenssteuer mit einem Spitzensteuersatz von 60 Prozent. Grundlegend ist auch die Forderung, dass alle Einkommen gleich zu besteuern sind, also Gehälter ebenso wie Vermögenszuwächse. Es geht, so das Credo der Autoren, bei der Festlegung der Steuersätze nicht darum, die Staatseinnahmen zu optimieren. Vielmehr ist die Besteuerung hoher Einkommen und großer Vermögen ein zentraler Hebel, um wirtschaftliche Macht gerechter zu verteilen. Das ist nicht nur ein moralisches Gebot. Vielmehr werden so auch Wettbewerb und Innovationskraft gefördert und damit die wichtigsten Treiber für eine Zukunft in Wohlstand für alle.