Thomas Pyczak ist sich sicher: Wer überzeugen will, muss gute Geschichten erzählen können. Das gilt auch und vor allem in der Arbeitswelt. Was sich auf den ersten Blick lapidar anhört, hat es bei genauerem Hinsehen in sich. Denn Storytelling will gelernt sein. Tell me! liefert das dazu notwendige Rüstzeug und erklärt die Tricks der Profis.
Wer erzählt, gewinnt
Geschichten erzählen, um zu überleben
Dass das Leben die besten Geschichten schreibt, ist hinlänglich bekannt. Was jedoch kaum jemand weiß: Geschichten haben unser Überleben überhaupt erst möglich gemacht. Thomas Pyczak, von Haus aus gelernter Journalist, führt uns diese Tatsache in seinem Buch Tell me! eindrücklich vor Augen. Durch Geschichten verbinden sich Emotionen und Fakten zu Mustern, die wiederum bewirken, dass wir aufmerksamer sind und uns Dinge besser merken. Wenn unsere Urahnen sofort wieder vergessen hätten, hinter welchem Felsen das Mammut lauert, wäre das für ihr weiteres Fortbestehen wenig zuträglich gewesen. „So haben Geschichten evolutionär dazu beigetragen, das Überleben zu sichern, und uns das Gefühl gegeben, Kontrolle über die Welt zu haben“, erklärt Pyczak.
Geschichten sind alternativlos, wenn Inhalte erinnert werden sollen.Thomas Pyczak
Neben der evolutionsbiologischen Bedeutung von Geschichten werden im ersten Teil des Buchs, der den Namen „Connect“ trägt, noch viele weitere wissenschaftliche Aspekte des Storytellings beleuchtet. Beispielsweise, dass Erzähltes und selbst Erlebtes im menschlichen Gehirn die gleichen Reaktionen auslösen, Goldfische eine längere Aufmerksamkeitsspanne als Menschen haben oder unser Denkapparat alle Geschichten in einer nur sehr überschaubaren Anzahl an Mustervorlagen speichert, auf die wir immer wieder zurückgreifen. Deshalb, so der Autor, beruhen alle Geschichten dieser Welt auf nur sieben Erzählmustern. Das ist auch im beruflichen Kontext gut zu wissen, etwa wenn es darum geht, die Unternehmensgeschichte aufzubauen.
Vieles von dem, was Pyczak zum Besten gibt, mag für einen Großteil der Leser nicht neu sein. Etwa, dass zu viel Technik von der eigentlichen Funktion einer Story ablenkt, oder wie wichtig es ist, die Zielgruppe zu kennen und das Erzählen der Geschichte entsprechend anzupassen, damit sie auch wirklich ankommt. Dennoch macht es Spaß, seinen Ausführungen zu folgen. Pyczak macht nämlich genau das, was er predigt: Er rattert die Fakten nicht herunter, sondern bettet sie in kleine, aber feine Erzählungen oder Beispiele aus der Praxis ein. Das macht Spaß und liest sich durchweg erfrischend lebendig. Denn Geschichten, so der Autor, „knüpfen Fäden zwischen Erzähler und Zuhörer“. Deshalb sollten Sie sich übrigens auch unbedingt die Geschichten von Leuten anhören, die sie nicht mögen. Auch „Klatsch und Tratsch“ sollten Sie in Ihrem Unternehmen fördern – denn das verbindet.
Von den Profis lernen
Im zweiten Teil des Buchs mit dem Titel „Copy“ stehen konkrete Werkzeuge und Techniken für die Entwicklung überzeugender Geschichten im Vordergrund. Dabei verweist Pyczak auf zahlreiche Referenzen aus Film, Literatur, Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen. In der Werkzeugkiste des Storytellings finden sich unter anderem die „Sparkline“, ein universell einsetzbares Dramaturgieschema, oder die berühmte „Heldenreise“, mit der bereits der antike griechische Dichter Homer arbeitete und die heute noch in unzähligen Filmen wie Findet Nemo, Star Wars oder Herr der Ringe zu finden ist. Natürlich dürfen auch der Altmeister Alfred Hitchcock mit seiner legendären Suspense-Technik oder die sogenannte „Obama-Methode“ nicht fehlen. Bei dem nach dem ehemaligen US-Präsidenten benannten Schema wird eine Geschichte in eine „Story of Self“, eine „Story of Us“ sowie eine „Story of Now“ unterteilt, daraufhin werden die drei Storys verbunden. Der Autor empfiehlt diese Technik insbesondere dann, wenn die Zuhörer etwa eines Vortrags emotional mitgenommen werden sollen.
Ein überzeugender Vortrag verbindet drei Storys, um Menschen in Bewegung zu bringen – ‚The Story of Self‘, ‚The Story of Us‘, ‚The Story of Now‘.Thomas Pyczak
Pyczaks Toolbox ist randvoll und enthält eine Menge Profiwerkzeug, was jedoch Fluch und Segen zugleich ist. So bietet sich dem Leser auf den rund 100 Seiten des zweiten Buchteils zwar ein umfassender Überblick über die unterschiedlichen Techniken des Geschichtenerzählens, allerdings könnte das Ausmaß den einen oder anderen Storytelling-Neuling überfordern, vielleicht sogar abschrecken.
Die Struktur einer Geschichte ist zwar wichtig, aber laut Pyczak beileibe nicht alles. Am Ende geht es darum, ein spannendes Kopfkino zu erzeugen und den Zuhörern magische Momente zu bescheren. Als Sinnbild für dieses zauberhafte Vorhaben schlägt Pyczak das aus Harry Potter bekannte „Gleis 9 ¾“ vor. Denn die Magie, erklärt er, ist irgendwo zwischen den Gleisen bzw. Zeilen zu finden – und entsteht dann, wenn Sie ausdauernd und fest davon überzeugt sind, mit dem, was Sie tun und erzählen, einen Unterschied in der Welt zu machen.
Für jedes Unternehmen gibt es eine Story
Der dritte und letzte Teil des Buchs trägt den Namen „Create“. Wie es der Titel bereits erahnen lässt, geht es nun darum, die vorgestellten Werkzeuge in der Praxis anzuwenden – sprich: darum, gute Geschichten zu bauen. Für die Einwicklung einer Markenstory schlägt Pyczak beispielsweise vor, zunächst den Kern des Unternehmens, sein „Warum“, herauszuarbeiten und für die eigentliche Geschichte eines der sieben Grund-Erzählmuster zu verwenden. Für jeden dieser Basic Plots hat er ein prominentes Exempel parat. So greift Red Bull etwa auf das Erzählmuster „Die Suche“ zurück, in der ein Held sich aufmacht zu einem weit entfernen Ziel, um dort seine Mission zu erfüllen. Sixt dagegen bevorzugt die Komödie, um seine Markenstory zu erzählen. Weitere Kapitel des dritten Teils beschäftigen sich mit dem Aufbau der eigenen persönlichen Story, Geschichten zur Vermittlung von Unternehmenswerten sowie dem erfolgreichen Start-up-Storytelling. Dieses exerziert Pyczak am Beispiel von Airbnb ausführlich durch und zeigt, dass die Gründerstory sowohl in einem einzigen Satz als auch in Form einer umfangreichen Heldenreise erzählt werden kann.
Eine zukünftige Schlüsselqualifikation stellt für Pyczak das sogenannte Data-Storytelling dar. Durch ihre Verknüpfung mit Daten erhalten Geschichten mehr Substanz; gleichzeitig werden Daten für eine breitere Zielgruppe zugänglich gemacht.
Schwächen zuzugeben, das ist das große Geheimnis von Storytelling. Wer sich kugelsicher gibt, mit dem kann sich niemand identifizieren.Thomas Pyczak
Nach Ausführungen über Mission-, Kunden-, Purpose- und Change-Storys listet Pyczak noch beliebte Storytelling-Fehler auf und gibt dem Leser wertvolle Tipps für Präsentationen mit auf den Weg. Zum Beispiel rät er dazu, mit einer persönlichen Geschichte einzusteigen, die Anzahl an Charts so gering wie möglich zu halten und die Heldenreise als Struktur zu verwenden.
Tell me! nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Welt der Geschichten und zeigt, weshalb Storytelling auch im geschäftlichen Umfeld von essenzieller Bedeutung ist. Das Buch weiß durch seinen lockeren und unaufdringlichen Schreibstil zu gefallen und eignet sich bestens als Inspirationsquelle für die Entwicklung und Optimierung eigener Geschichten. Da Umfang und Erzähltempo einige Neulinge auch überfordern können, wäre an manchen Stellen weniger mehr gewesen. Dennoch eine klare Leseempfehlung.