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Drawdown – der Plan

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Der Unternehmensberater und Publizist Paul Hawken zeigt – nach Bestsellern wie „Kollaps oder Kreislaufwirtschaft“ oder „Wir sind der Wandel“ –, wie wir in den nächsten 30 Jahren rund 1050 Gigatonnen Treibhausgase vermeiden bzw. aus der Atmosphäre fischen könnten – und das zum weitaus größten Teil mithilfe bestehender Technologien.

100 Lösungen gegen den Klimawandel

Bereits im Vorwort wird klar, was Sache ist: „Nie waren die Risiken für unseren Planeten größer. Die Welt erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt, die Folgen des Klimawandels treten schneller ein und sind tiefgreifender als ursprünglich vorhergesagt.“ Höchste Zeit, etwas dagegen zu tun – dachte sich auch Paul Hawken und machte sich im Rahmen des Projekts „Drawdown“ zusammen mit 70 Mitarbeitern aus 22 Ländern daran, die 100 effektivsten Lösungen zur Absenkung klimaschädlicher Treibhausgase zusammenzutragen, wobei 80 dieser Lösungen heute schon umsetzbar und 20 noch Zukunftsmusik sind.

Hawken geht sogar noch einen Schritt weiter und spricht davon, die Erderwärmung könne bis zum Jahr 2050 umgekehrt werden. Das ist natürlich ein recht ehrgeiziges Ziel. Daher warnt Hawken auch vor überzogenen Erwartungen. Das Projekt habe keinen fertigen Plan ausgearbeitet, aber immerhin umfassende Lösungsvorschläge, um Emissionen zu reduzieren bzw. der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen. Jede der vorgestellten Lösungen ist die Essenz aus Hunderten Seiten wissenschaftlich und mathematisch fundierter Forschungsergebnisse, so Chad Frischmann, der Forschungsleiter des Projekts.

Jede Lösung in Drawdown reduziert Treibhausgase, indem Emissionen vermieden werden und/oder Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt wird.

Die Lösungsvorschläge sind in acht Themenblöcke unterteilt. Der erste davon ist der Block „Energie“. Hier geht es vor allem um die Frage, wie sich fossile Brennstoffe ersetzen lassen. Die Bandbreite der vorgestellten Lösungen reicht von Windkraft über Kraft-Wärme-Kopplung bis hin zu dezentraler Stromspeicherung und solarer Warmwasserbereitung. Dabei fällt schnell auf, dass die einzelnen Lösungskonzepte – nicht nur in diesem Themenblock – wunderbar allgemeinverständlich beschrieben sind. Auf akademischen Jargon wird ebenso verzichtet wie auf endlose Zahlenkolonnen. Dafür zeigen die Autoren für jede Lösung auf, welche CO2-Reduktion in Gigatonnen sie bis zum Jahr 2050 mit sich bringen würde und mit welchen Nettokosten bzw. Nettoeinsparungen bis dahin zu rechnen ist. Aus der jeweiligen CO2-Reduktion, die gemäß den Autoren auf von Gutachtern geprüften wissenschaftlichen Studien basiert, wird außerdem der Gesamtrang ermittelt, den das Thema im Rahmen der 80 heute schon umsetzbaren Lösungen einnimmt.

Klimakiller Viehhaltung

Die oberste Position im Bereich „Energie“ nimmt das Thema „Windkraft (an Land)“ ein. Mit 84,6 Gigatonnen CO2-Reduktion, Nettokosten von 1,23 Billionen Dollar und einem Nettoeinsparpotenzial in Höhe von 7,4 Billionen Dollar bis 2050 ist es sogar die zweitbeste der Lösungen insgesamt. Wem bei diesen Dimensionen die Vorstellungskraft versagt: Eine Gigatonne entspricht in etwa dem Inhalt von 400 000 olympischen Schwimmbecken, erklärt Frischmann. 7,4 Billionen Dollar sind darüber hinaus ungefähr das 42-Fache von Jeff Bezos’ geschätztem Vermögen – behauptet zumindest Google.

„Ernährung“ ist der zweite Themenblock. Als vielversprechendsten Hebel zur Eindämmung der CO2-Emissionen nennt das Buch den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sowie eine Umstellung unserer Ernährung auf pflanzliche Produkte. Laut den Autoren ist Viehhaltung für mindestens 15 Prozent der jährlich ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich. Aus beiden Maßnahmen zusammen würde sich bis 2050 eine CO2-Reduktion von 136,64 Gigatonnen ergeben – also knapp 55 Millionen randvolle olympische Schwimmbecken.

Würde man das gesamte vom Menschen gehaltene Nutzvieh als eine eigene Nation betrachten, wäre diese Nation der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen.

Das nächste Kapitel trägt den Titel „Frauen und Mädchen“, was im Zusammenhang mit CO2-Reduktion zunächst etwas befremdlich wirkt. Die Autoren zeigen anhand der drei Lösungskonzepte „Frauen als Kleinbäuerinnen“, „Familienplanung“ und „Bessere Ausbildung für Mädchen“ jedoch, dass mehr Gleichberechtigung sowie weniger Unterdrückung und Benachteiligungen für die Menschheit insgesamt von großer Bedeutung sind. Allein durch mehr Wissen zu Sexualität und Familienplanung sowie einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung ließen sich den Autoren zufolge bis 2050 knapp 60 Gigatonnen CO2 einsparen.

Schreckensszenarien und Hoffnungsschimmer

Es folgen die Themenblöcke „Gebäude und Städte“, „Landnutzung“ und „Transportwesen“. Die jeweils vielversprechendsten Lösungsansätze sind dabei der Ausbau von Fernwärmenetzen, die Renaturierung von Tropenwäldern sowie die Ablösung von Verbrennern durch Elektrofahrzeuge. Spätestens, wenn es um Gebäude und Mobilität geht, wird dem Leser klar, dass er mit teilweise geringem Aufwand selbst an der Umkehrung des Klimawandels mitwirken kann – ob durch den Einsatz von LED-Leuchtmitteln oder intelligenten Thermostaten in den eigenen vier Wänden oder durch die Bildung von Fahrgemeinschaften bzw. einer stärkeren Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs.

Auch der nächste Themenkomplex mit dem Titel „Materialien“ enthält Lösungen, zu denen jeder Einzelne beitragen kann – etwa durch verstärkte Nutzung von Recyclingmaterialien oder einen bewussteren Umgang mit Wasser. Das Lösungskonzept mit dem höchsten CO2-Einsparpotenzial überhaupt ist ebenfalls diesem Gebiet zuzurechnen: Aus einem bewussteren Umgang mit Kühlmitteln könnte sich laut den Autoren in den kommenden 30 Jahren eine CO2-Reduktion von rund 90 Gigatonnen ergeben – insbesondere durch eine sachgerechtere Entsorgung, bei der ein Entweichen von Kühlmitteln vermieden wird.

90 Prozent der Kühlmittelemissionen ereignen sich am Nutzungsende der Geräte.

Schließlich widmen sich Hawken und sein Team dem Thema „Zukunftsvisionen“. Dabei geht es um Technologien, die aktuell noch in den Kinderschuhen stecken, aber das Zeug zum „Next Big Thing“ haben. Exemplarisch seien hier autonome Fahrzeuge, intelligente Stromnetze oder die sogenannte mikrobenassoziierte Landwirtschaft genannt. Bei Letzterer soll die Qualität von geschundenen Böden durch das Zuführen bestimmter Mikroorganismen verbessert werden.

Drawdown – der Plan: Wie wir die Erderwärmung umkehren können erschreckt den Leser und gibt ihm gleichzeitig Hoffnung. Das Buch zeigt, wie jeder seinen Teil dazu beitragen kann, den Klimawandel umzukehren – und das, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben oder die Ideologiekeule zu schwingen. Stattdessen lassen Hawken und sein Team Fakten sprechen. Die Lektüre macht trotz des ernsten Themas Spaß, was vor allem am lockeren und angenehmen Schreibstil der Autoren liegt. Unzählige Fotos runden das Ganze zusätzlich ab. Unbedingt lesen!

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