Zurück ins pralle Leben
Option B

Zurück ins pralle Leben

Wie kann das Leben weitergehen, wenn der wichtigste Mensch plötzlich nicht mehr da ist? Facebook-COO Sheryl Sandberg verarbeitet in Option B den plötzlichen Tod ihres Mannes Dave. Unterstützt wird sie dabei von dem Psychologieprofessor Adam Grant.

„Das Letzte, das ich zu ihm sagte, war: ‚Ich schlafe gleich ein.‘“ Mit diesen Worten eröffnet Sheryl Sandberg ihr Buch. Die titelgebende „Option B“ ist für Sandberg ein Leben ohne ihren Mann Dave Goldberg, der im Frühjahr 2015 im Alter von nur 47 Jahren einem Herzinfarkt erlag.

Wer jedoch ein Kompendium der Trauerbewältigung erwartet, wird bereits nach wenigen Seiten eines Besseren belehrt. Option B liest sich über weite Strecken wie ein Tagebuch, gemischt mit einer umfangreichen Anekdotensammlung. Es gibt aber Ratgeberelemente, in denen Sandberg und Grant den Lesern ihre wichtigsten Lektionen in Bezug auf Resilienz und Trauerbewältigung mit auf den Weg geben.

Von Muskeln und Elefanten

So erklärt Grant Sandberg, dass sich Resilienz, also die Fähigkeit, auf schwierige Situationen zu reagieren, wie ein Muskel trainieren lässt. Zudem müssten die Hindernisse der Trauerbewältigung überwunden werden. Sandberg und Grant zitieren in diesem Zusammenhang den Psychologen Martin Seligman, der die Gründe erforscht hat, die die erfolgreiche Bewältigung eines Schicksalsschlages verhindern. Zu diesen Gründen gehören die Personalisierung, also der Irrglaube, selbst schuld am Tod eines geliebten Menschen zu sein, sowie die Globalität. Darunter versteht man laut Seligman den Einfluss des Verlusts auf alle Bereiche des Lebens. Ein weiteres Hindernis ist die Permanenz, die Vorstellung, die aktuelle Situation würde für immer andauern.

 

Bildlich gesehen ist Resilienz weniger unser Rückgrat als vielmehr unsere Fähigkeit, jene Muskeln zu stärken, die unser Rückgrat aufrecht halten.

Sandberg/Grant

Im zweiten Kapitel, das den Titel „Werfen Sie den Elefanten aus dem Wohnzimmer“ trägt, beschreibt Sandberg eine Situation, die den meisten Trauernden bekannt vorkommen dürfte: Angesichts der Betroffenheit über den Tod eines Menschen meiden viele das Thema wie der Teufel das Weihwasser. Sandberg fühlte sich verletzt, wenn ihrer Mitmenschen mit ihr über das Wetter reden wollten anstatt über Daves Tod. Was wirklich hilft, so Sandberg, ist aufrichtige Anteilnahme und ernst gemeinte, konkrete Hilfsangebote. Sie leitete aus ihren eigenen Erfahrungen die „Platin-Regel“ der Freundschaft ab: „Behandle andere Menschen stets so, wie sie behandelt werden möchten.“

Apropos andere Menschen: Die Trostspender tragen bei Sheryl Sandberg illustre Namen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg legt ihr am Strand die Hand auf die Schulter und kein Geringerer als Elon Musk lässt am Rande eines Raketenstarts ein paar Worte zur Krisenbewältigung fallen. Trotz der ehrlich empfundenen Trauer könnte dem Leser an der einen oder anderen Stelle durchaus der Begriff „Namedropping“ in den Sinn kommen.

Die Trauer von der Seele schreiben

In weiteren Kapiteln beschäftigen sich Sandberg und Grant mit Selbstmitgefühl und posttraumatischem Wachstum. Selbstmitgefühl bedeutet nicht nur, sich selbst anzunehmen, sondern auch, nicht allzu streng mit sich zu sein, so die beiden Autoren. Studien belegen, dass Selbstmitgefühl durch therapeutisches Schreiben gestärkt werden kann. Dies wirkt sich Sandberg und Grant zufolge positiv auf das Immunsystem aus und hilft bei der Verarbeitung des Geschehenen.

Beim posttraumatischen Wachstum werden aufgrund traumatischer Erlebnisse persönliche Entwicklungsprozesse angestoßen. Rückblickend konstatiert Sandberg, dass aufgrund ihres Traumas insbesondere die Beziehung zu anderen Menschen inniger geworden sei. Auch entwickelte sie in ihrer neuen Rolle als alleinerziehende Mutter bislang unbekannte Stärken, was ihr wiederum Kraft und Mut gab.

 

Option A ist nicht verfügbar, also lass uns das Beste aus Option B machen.

Sandberg/Grant

Mit der Frage, ob man sich jemals amüsieren darf, wenn man seinen Partner verloren hat, beschäftigt sich das Kapitel „Rückeroberung der Lebensfreude“. So viel sei vorweggenommen: Man darf und soll sogar. Das sagt auch Psychologe Adam Grant. Er riet Sandberg dazu, Dinge zu unternehmen, die ihr bisher nur mit Dave Spaß gemacht hatten. Sandberg eroberte sich infolgedessen das Lachen zurück und lernte auch die vielen kleinen Glücksmomente wieder schätzen, die das Leben mit sich bringt. Die Freude über Kleinigkeiten wird dadurch intensiviert, dass man sie mit anderen teil, so die Autoren.

Was bei diesem und einigen anderen Kapiteln auffällt: Zwar handelt es sich beim Ich-Erzähler meist um Sheryl Sandberg, bei vielen Passagen bleibt jedoch unklar, welcher der beiden Autoren gerade zum Leser spricht. Das macht die Lektüre mitunter etwas anstrengend.

Leben, lieben, lachen

Ergreifend wird es, wenn Sandberg davon berichtet, wie sie ihren beiden Kindern die Nachricht vom Tod ihres Vaters überbringen musste. Eine Sozialpädagogin riet ihr, den Kindern klarzumachen, dass ihr Leben im Grunde genommen unverändert weitergehen werde. Resilienz bei Kindern, so Sandberg und Grant, ist insbesondere an funktionierende Beziehungen zu Eltern, Lehrern oder anderen Bezugspersonen gekoppelt. Sie ist keine Einzelleistung, sondern entsteht vor allem in der Gemeinschaft, erklären die beiden Autoren weiter. Nach Daves Tod nahmen Sandbergs Kinder an einem einwöchigen Camp teil, das Kinder zusammenbrachte, die ähnlich traumatische Erlebnisse hinter sich hatten. Selbsthilfegruppen vermitteln den Betroffenen das Gefühl, mit ihrem Schmerz nicht allein zu sein, so Grant. Auch andere haben ihn durchgemacht – und überlebt.

 

Manchmal muss man etwas Grauenhaftes durchmachen, um zu sehen, wie schön die Welt ist.

Sandberg/Grant

Im letzten Kapitel mit den Namen „Wieder lieben und lachen“ berichtet Sandberg vom Zwiespalt zwischen der Vorstellung, sich nie wieder auf eine Beziehung einlassen zu können bzw. zu dürfen, und der Sehnsucht nach einer neuen Liebe. Sie führt dabei eine Statistik an, wonach 54 Prozent der Witwer ein Jahr nach dem Tod der Ehefrau wieder in einer neuen Beziehung sind. Bei Witwen sind es hingegen nur 7 Prozent. Sandberg selbst hat mittlerweile wieder einen neuen Partner an ihrer Seite. Auch wenn sie deswegen einige negative Kommentare über sich ergehen lassen musste, genießt sie die neue Liebe und das zurückgewonnene Lachen in vollen Zügen. Dennoch, so Sandberg, wird Dave immer ein Teil von ihr bleiben.

Option B hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist das Buch an vielen Stellen bewegend ehrlich geschrieben und liefert dem Leser einige wertvolle Impulse zur Trauerbewältigung, anderseits überzeugt die unkonventionelle Mischung aus Tagebuch, Anekdoten und Ratgeber nicht immer. Möglicherweise wäre eine striktere Trennung der einzelnen Elemente die bessere Wahl gewesen.

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