Nach dem Crash ist vor dem Crash – solange sich nichts ändert
Finanzwende

Nach dem Crash ist vor dem Crash – solange sich nichts ändert

Dringende Reformen der Finanzmärkte lassen noch immer auf sich warten. Die Autoren zeigen, wie der Finanzsektor gebändigt und Banken stärker reguliert werden sollten.

Ein parteiübergreifendes Anliegen

Im umfangreichen Bundestagswahlprogramm 2017 von Bündnis 90/Die Grünen nahm der Abschnitt „Für eine Wende am Finanzmarkt“ nur etwas mehr als eine Seite in Anspruch. „Wir müssen die Finanzmärkte nach der Finanzkrise noch besser regulieren, damit sie wieder der Gesellschaft und der Realwirtschaft dienen, sinnvoll die Investitionen in einer Volkswirtschaft lenken und den Menschen vernünftige Geldanlagen ermöglichen“, hieß es darin. Konkret waren gefordert: eine Schuldenbremse für Banken, eine höhere Eigenkapitalquote für Versicherungen, deutlich strengere Regeln für Schattenbanken, ein Ausbremsen des Hochfrequenzhandels, ein Verbot von schädlichen und intransparenten Anlageprodukten, eine Entflechtung von Instituten, die „too big to fail“ sind, sowie ein Verbot der provisionsgetriebenen Beratung – alles Punkte, die weit über die Parteigrenzen hinweg gefordert wurden und werden, wenn auch vermutlich nicht überall im Finanzsektor.

Handlungsbedarf für Finanzmarktreformen

Wer Details wissen will, sollte das Buch Finanzwende von Sven Giegold, Udo Philipp und Gerhard Schick lesen. Es sind nämlich unter anderem diese Wirtschaftswissenschaftler, die die Grünen 2017 in ökonomischen Fragen berieten und einigen Sachverstand ins Wahlprogramm einbrachten. Sven Giegold hat die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation Attac in Deutschland mitgegründet und sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament. Udo Philipp hat für einen großen Private Equity Fonds gearbeitet und wechselte in den Aufsichtsrat einer Nachhaltigkeitsbank und zur grünen Partei. Der Volkswirt Gerhard Schick arbeitete für diverse Forschungsinstitute, bevor er für die Grünen in den Bundestag einzog und finanzpolitischer Sprecher der Partei wurde. 

 

2008 gingen auch deshalb so viele Banken pleite, weil sie nicht mehr die sofort verfügbaren finanziellen Mittel besaßen, um ihren akuten Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können.

Sven Giegold et al.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigen die Autoren in ihrem Buch. Mit Finanzwende meinen Giegold, Philipp und Schick grundlegende Reformen der Finanzmärkte. Die globale Finanzmarktkrise von 2008 liegt zwar bereits eine Weile zurück, doch viele der nötigen Maßnahmen, um einen erneuten Crash zu verhindern, sind bislang ausgeblieben. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sieht in ihrem 2019 veröffentlichten Gutachten zu den europäischen Finanzmarktreformen „weiteren Handlungsbedarf“. Es hat sich bei allen bisherigen Maßnahmen inzwischen also noch immer nicht genug getan.

Höhere Eigenkapitalquote der Banken

Zu den grundlegenden Ursachen der Instabilität des Finanzsystems gehören makroökonomische Ungleichgewichte wie der ständige Leistungsbilanzüberschuss des Exportweltmeisters Deutschland. Dieser könnte reduziert werden, indem Deutschland mehr investiert. Die Autoren schlagen einen „New Green Deal“ vor, der an den „New Deal“ des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren denken lässt. Der „New Green Deal“ wäre ein massives Investitionsprogramm der öffentlichen Hand in eine ökologische und soziale Modernisierung. Dies wäre zwar keine echte Finanzmarktreform, aber das Programm würde viel Geld aus dem Finanzsektor abziehen und sinnvoll investieren.

 

Too-big-to-fail-Subventionen belasten nicht nur die öffentlichen Haushalte, sondern verzerren auch den Wettbewerb unter den Banken, weil sich systemrelevante Banken so viel preiswerter refinanzieren können.

Sven Giegold et al.

Eine weitere Forderung ist eine deutliche Aufstockung des Eigenkapitals von Finanzinstituten, um sie robuster zu machen. Viele der in der Finanzkrise gestrauchelten Banken wiesen Eigenkapitalquoten von lediglich 1 oder 2 Prozent auf, während klassische Unternehmen sich zu etwa 25 bis 30 Prozent durch Eigenkapital finanzieren. Zwar verlangte die Basel-III-Reform nach der Krise deutlich mehr Eigenkapital. Doch Banken haben zu viel Spielraum bei der Bewertung ihrer bilanziellen Risiken. Daher fordern die Autoren neben einer erheblichen Erhöhung des Eigenkapitals auf 10 Prozent auch einfache und einheitliche Regeln für alle – einschließlich der Schattenbanken. Dies sind durchaus seriöse Unternehmen wie Versicherungskonzerne oder Fondsgesellschaften, die allerdings Bankgeschäfte betreiben, ohne der Bankenaufsicht zu unterliegen.

Mehr Transparenz im Finanzsektor

Zudem ist die skandalöse Bonuszockerei in den Banken zu unterbinden. Jahresgehälter über 500 000 Euro sollten steuerlich nicht mehr als Aufwand verbucht werden dürfen. Manager sollten für ihre Entscheidungen verstärkt haften. Bei Gesetzesverstößen fordern die Autoren sowohl eine drastische Erhöhung der Strafen, als auch die Anwendung des „Senior Managers Regime“. Danach muss nicht der Staatsanwalt Vorsatz nachweisen, sondern ein Manager muss beweisen, dass er alles unternommen hat, um Gesetzesverstöße in seinem Verantwortungsbereich zu verhindern.

Weiter fordern die Autoren eine Demokratisierung der Regulierung des Finanzsektors. Die undurchschaubar komplexen Regelungen müssen vereinfacht werden, um überhaupt kontrollierbar zu sein. Und der fragwürdige Wechsel von Mitarbeitern der Regulierungsbehörden in weit lukrativere Jobs der Finanzindustrie – Drehtüreffekt genannt – bewirkt bei Regulierern einen Interessenkonflikt und sollte zumindest transparent gemacht werden.

 

Der europäische Stresstest hat erneut bestätigt, was man seit sehr vielen Jahren in der internationalen Fachpresse lesen kann, was aber in Deutschland kaum einen Weg in die Öffentlichkeit findet: Die großen deutschen Banken sind notorisch unterkapitalisiert und im Vergleich zu ihrem hoch riskanten Geschäft zu ertragsschwach.

Sven Giegold et al.

Banken müssten verkleinert werden, damit sie eben nicht mehr systemrelevant sind und den Staat durch ihre schiere Größe erpressen können. Pensionsfonds, Stiftungen und Versicherungen sollen in saubere, zukunftsfähige Industrien investieren. Und Provisionen für Versicherungsberater sollten offengelegt und Vorabprovisionen verboten werden, um Versicherte hier nicht länger über den Tisch zu ziehen.

Das erwähnte BaFin-Gutachten nennt trotz aller bisherigen Reformen übrigens ähnliche Baustellen wie Giegold, Philipp und Schick, etwa die Erhöhung der Eigenkapitalquote und die hohe Komplexität der Regulierungsmaßnahmen. Fazit: Finanzwende bietet eine zwar grün angehauchte, dennoch aber kritische und solide Bestandsaufnahme.

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