Was passiert, wenn wir 10 Milliarden sind?
Zehn Milliarden

Was passiert, wenn wir 10 Milliarden sind?

Die Erde kann die immer weiter wachsende Bevölkerung kaum noch verkraften, sie steht kurz vor dem ökologischen Kollaps. Und nichts geschieht, was geeignet wäre, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. 

Das alles ist, erschreckend genug, nichts Neues. Neu ist jedoch die Präsentation in diesem Buch: Kurze, knappe Statements, Fakten und Zahlen, gepaart mit eindrücklichen Fotos und Grafiken, fügen sich wie Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild, das trotz seiner strikten Reduzierung auf Tatsachen die Komplexität der Zusammenhänge aufscheinen lässt. Der Autor Stephen Emmott lehrt an der Universität Oxford Computational Science und ist wissenschaftlicher Leiter eines Microsoft-Labors. Im Jahr 2012 erzielte er mit dem Bühnenstück Ten Billion in London einen großen Erfolg. Ein Jahr später erschien das gleichnamige Buch.

Wir werden immer mehr

Emmotts Bestandsaufnahme ist schonungslos: Die Erde steht vor dem Kollaps und wir sind die Ursache: die Spezies Mensch, die den blauen Planeten beherrscht. Unsere Eingriffe in die natürlichen Stoffkreisläufe der Erde haben dafür gesorgt, dass das überlebenswichtige Ökosystem unseres Planeten bedroht ist. Menschen gibt es schon seit 200 000 Jahren, doch erst in den letzten Jahrzehnten ist ihre Anzahl förmlich explodiert. Allein in den letzten 200 Jahren hat sich die Weltbevölkerung versiebenfacht und ein Ende dieses Wachstums ist kaum abzusehen. Zum nächsten Jahrhundertwechsel werden wir mindestens 10 Milliarden sein.

Ein Planet mit 10 Milliarden Menschen wird der reinste Albtraum sein.Stephen Emmott

Die Gründe für dieses exorbitante Bevölkerungswachstum sind bekannt. An erster Stelle nennt Emmott die Agrarrevolution, die mit der Domestizierung wilder Tiere begann und ab den 1950er-Jahren in der sogenannten grünen Revolution gipfelte. Zunächst mit positiven Folgen: Die Menschen, jedenfalls die im Westen, lebten immer länger, die Preise für Lebensmittel sanken und damit blieb mehr Geld für andere Dinge übrig: Fernseher, Autos, Urlaubsreisen. Mit der Steigerung des Konsums kam es auch zu einer enormen Zunahme des Verkehrs.

Den Preis für Wohlstand und Wirtschaftswachstum zahlt die Erde – in Form von Umweltverschmutzung, zerstörten Ökosystemen, gefährdeten Lebensräumen. Wasser wird immer knapper, extreme Dürren und Überschwemmungen treten immer häufiger auf. Unsere Art zu wirtschaften sorgt dafür, dass immer mehr Treibhausgase entstehen, die für die zunehmende Erwärmung des Planeten verantwortlich sind. Daneben führen die Umweltverschmutzung und die immer intensivere Übernutzung der Ressourcen zu einem massiven Artensterben. Die abnehmende Artenvielfalt ist besonders bedrohlich, weil sie eine zentrale Grundlage unserer Ökosysteme bildet.

Es geht immer schneller

Als wäre das nicht alles schlimm genug, konstatiert Emmott eine zunehmende Beschleunigung dieser Veränderungen. Die Weltbevölkerung wächst immer schneller. Diese Menschen brauchen Wasser, müssen ernährt und gekleidet werden, benötigen Güter, die hergestellt und transportiert werden müssen.   

Der Lebensmittelbedarf steigt mit zunehmendem Wohlstand überproportional. Je wohlhabender ein Mensch wird, desto mehr isst er, vor allem aber mehr Fleisch. Die dazu gezüchteten Tiere müssen gefüttert werden, wir brauchen also noch mehr landwirtschaftliche Nutzflächen. Die Lebensmittelproduktion ist für einen großen Teil der menschlich erzeugten Treibhausgase verantwortlich. Diese Gase beschleunigen den Klimawandel, der wiederum für instabileres Wetter sorgt und damit die Ernteerfolge gefährdet. Langfristig steigen darum die Preise für Grundnahrungsmittel, die besonders für die Armen immer weniger bezahlbar sind. 

Natürlich steigt auch unser Energieverbrauch. Das Problem ist gemäß Emmott nicht, dass Öl und Gas bald verbraucht sein werden. In Wahrheit entdecken die Menschen immer neue Vorkommen und immer bessere Möglichkeiten, diese durch Fracking und Ähnliches auszubeuten. Das Problem ist vielmehr, dass durch fossile Energieträger der Klimawandel beschleunigt wird. 

Die Kosten für die Produktion von Gütern sind immer sehr viel höher als ihr Preis. Ein Auto gibt es schon ab wenige Tausend Euro, doch darin sind die enormen Kosten für Umweltschäden, die durch Transport, Produktion und Rohstoffgewinnung entstehen, nicht enthalten. Diese Folgekosten bezahlen nicht wir, sondern unsere Kinder. Das Gleiche gilt für die vielen anderen Produkte, die unsere Warenhäuser füllen, und auch für die Billionen Flugkilometer, die wir jedes Jahr zurücklegen.

Lösungen sind nicht in Sicht

Was können wir tun? Emmott stellt zwei grundsätzliche Lösungswege einander gegenüber: Technologie oder Verhaltensänderung. Die technischen Lösungen heißen: grüne Energie, Kernkraft, Entsalzung des Meerwassers, Geoengineering und eine weitere grüne Revolution. Doch sie alle taugen in Emmotts Augen nichts, sind entweder viel zu ineffektiv oder mit unabsehbaren Risiken verbunden. Emmotts Fazit: Bislang gibt es keine technologische Lösung des Problems, und die Wahrscheinlichkeit, dass uns schnell genug die richtigen Mittel und Wege einfallen, ist gering.

Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten.

Stephen Emmott

Damit bleibt für den Autor nur eine Lösung, nämlich ein radikaler Verhaltenswandel. Drastischer Konsumverzicht, massive Sparsamkeit beim Verbrauch von Ressourcen. Dazu müsste die Politik radikale Maßnahmen einleiten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Politik verzögert nötige Maßnahmen oder verabschiedet windelweiche Kompromisse, die zu nichts führen. 

Auch die vielen individuellen Bemühungen, Energie zu sparen, lösen das globale Problem nicht. Weltweit gesehen steigt der Konsum immer weiter, und für die 3 Milliarden wirklich armen Menschen ist ein solcher Mehrkonsum sogar wünschenswert, um des reinen Überlebens willen. Das zentrale Problem sind für Emmott die explodierenden Geburtenraten in den Entwicklungsländern. Selbst wenn Verhütungsmittel kostenlos zugänglich sind, bleibt die Geburtenrate viel zu hoch. Die Gründe dafür sind politischer, religiöser und kultureller Natur. Sicher ist aber, dass nicht beliebig viele Menschen auf der Erde leben können, und vieles spricht dafür, dass wir schon jetzt viel zu viele sind. Wir steuern sehenden Auges auf die Katastrophe zu.

Die faktengesättigte Analyse von Stephen Emmott ist schonungslos, die Perspektive bedrückend, das Fazit alarmierend. Am Ende bleibt vor allem Betroffenheit – das ist wohl auch das Ziel, das der Autor mit seinem düsterstmöglichen Szenario erreichen will. Ein wichtiges Buch, dem zu wünschen ist, dass es viele Menschen aus ihrer Lethargie aufrüttelt.

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