Klimawandel, Energie, Nachhaltigkeit: Diese Themen stehen heute auf der globalen Agenda. Vieles davon hat sich aber schon in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts angedeutet. Thomas L. Friedman ruft in seinem 2009 erschienenen Manifest Was zu tun ist Alarmstufe Grün aus.
Skizze einer grünen Revolution
„Wenn doch Amerika für einen Tag China sein könnte – nur für einen Tag“ – so steht es tatsächlich in Thomas Friedmans Buch. Aus heutiger Perspektive undenkbar, im Jahr 2009 war es eine provokante Option. Warum? Weil die allwissende, alles regelnde Kommunistische Partei im Reich der Mitte einfach Dinge beschließen und umsetzen kann. Ohne Rücksicht auf Lobbys, Politiker, Gegenstimmen. Warum wäre das laut Friedman erstrebenswert? Weil der Autor die USA in seinem Buch in den Untergang rutschen sieht.
Alarmstufe Grün in Amerika
Friedman geht mit seinen amerikanischen Mitbürgern, vor allem mit den politischen und wirtschaftlichen Eliten, hart ins Gericht. Als ökologisches Land hätten die USA auf der ganzen Linie versagt. Was haben die Amerikaner in den letzten Jahrzehnten für den Umweltschutz getan?, fragt Friedman. Und unternimmt einen Ritt durch die US-Geschichte: Nixon setzte die ersten Umweltschutzgesetze der USA durch. Reagan wollte den Staat ganz aus der amerikanischen Wirtschaft zurückdrängen und lehnte Regulierungen vehement ab. Er senkte die Mindestkilometerleistung pro Liter Treibstoff für Autos und sorgte so dafür, dass die größten Energieverschwender, die Amerika kannte, wieder auf die Straße durften. Geschickte Lobbyarbeit der Autohersteller sorgte dafür, dass Benzin billig blieb und sich der Kauf von Geländewagen und Hummers lohnte. Während in Europa immer kleinere und sparsamere Autos gekauft würden, so Friedman, leisteten sich die Amerikaner spritfressende Monsterboliden. Das war offenbar vor dem Run auf die fetten SUVs, die auch hierzulande die Straßen verstopfen.
Grün ist nicht einfach eine neue Art der Erzeugung elektrischen Stroms, sondern eine neue Art der Erzeugung nationaler Kraft.Thomas L. Friedman
Spätestens an dieser Stelle wird klar: Friedman hat eine genuin amerikanische Perspektive. Die USA hätten es verbockt – aber wer, wenn nicht die USA, könnten die Karre wieder aus dem ökologischen Dreck ziehen? Zugegeben: Friedman vertritt die These „Die Welt ist flach – und deshalb gehen globale Probleme alle an.“ Darum bemüht er nochmals China: „Wenn der Wind sich dreht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“, sage ein chinesisches Sprichwort. Die USA hätten aber bislang nur gemauert. Unter dem Vorwand, der Wirtschaft nicht zu schaden, habe sich die Regierung nicht darum gekümmert, die Energieeffizienz der Stromverbraucher zu reduzieren. Klar: Warum sollte man Innovationen schaffen, wenn die Energie billig und im Überfluss zu haben ist? Es waren, so Friedmans Analyse, in den letzten Jahren vor allem die anderen, die Windmühlen gebaut hätten. Aber ganz ungeschoren kommt China doch nicht davon: Sobald die Chinesen immer reicher geworden waren, begannen sie mit der Nachahmung der USA: im Energieverbrauch, im Konsum und im Raubbau an der Natur.
Klimawandel-Leugnung im Zeitalter vor den Fake News
Lange bevor eine Beraterin Donald Trumps von „alternativen Fakten“ sprach und das Zeitalter der Fake News einläutete, gab es schon die Klimaleugner. Auch vor ihnen warnt Friedman. Die Erwärmung der Meere habe nicht nur zum Artensterben und zum Schmelzen des Eises an den Polen geführt. Naturkatastrophen wie der Hurrikan „Katrina“ im Jahr 2005 hätten den Menschen deutlich vor Augen geführt, dass das ökologische Gleichgewicht nicht langsam und schleichend kippe, sondern seine Destabilisierung auch mit gewaltigen Eruptionen einhergehen könne. Trotzdem gebe es Politiker, die den Klimawandel leugneten. Das seien vor allem jene, die von den Ölkonzernen „geschmiert“ würden – und jene Konservativen, die den Kampf gegen den Klimawandel verhindern wollten, weil damit staatliche Eingriffe verbunden seien, die nicht in ihre Ideologie der freien Märkte passten, schreibt Friedman.
Wir leben schon zu lange von geborgter Zeit und geborgtem Geld. Thomas L. Friedman
Dann nimmt der mehrfache Pulitzerpreisträger die „Öl-Diktaturen“ ins Visier. Weil die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen weltweit so groß sei, blieben die Regierungen im Nahen Osten mächtig. Wer das Öl kontrolliert, folgert Friedman, kontrolliert auch die Politik und die soziale Ordnung. Russland rassle nicht mehr mit dem Säbel, sondern drehe einfach den Gashahn zu, wenn ihm die Politik in einem Land wie der Ukraine nicht passe. Inzwischen wissen wir: Beim Gashahn-Zudrehen ist es nicht geblieben. Friedman mag aber damit Recht haben, dass der Energiekrieg nur die Vorstufe einer langen Eskalationsspirale sein kann. Insofern ist ihm zuzustimmen, dass es höchste Zeit wäre, sich aus der Abhängigkeit vom Öl zu befreien.
Was immer noch zu tun ist
Interessant ist ein Blick auf Friedmans titelgebende Empfehlungen. So wünscht er sich ein Energie-Internet, das unsere Häuser intelligent vernetzt. Wenn alle Geräte im Haus miteinander kommunizieren, erkennen sie automatisch, wann sie ein- und ausgeschaltet werden müssen, um ihre Leistung effizient zu erbringen. Intelligente Vernetzung sei das Schlüsselkriterium für hohe Energieeffizienz, so der Autor. Tatsächlich stehen wir dank Smart Metering und Smart Grids kurz davor, diese Forderung umzusetzen. In vielen Bereichen funktioniert das bereits, denn die Erkenntnis, dass es Dunkelflauten gibt, also Tageszeiten, in denen man mit erneuerbaren Energien keine Herdplatte heizen kann, hat ein völlig neues Konzept der Netzsicherheit notwendig gemacht.
Zweite Idee: Der Stromversorger soll zum Allroundanbieter werden, der sogar iTunes-Songs aus der Steckdose liefert und gegen eine Pachtgebühr eine Solaranlage im Garten aufstellt, um die Häuser in der Nachbarschaft mit Ökostrom zu versorgen. Das mit dem Streaming von Songs hat sich in dieser Form nicht bewahrheitet. Zarte, wenn auch noch zu umständliche Ansätze, PV-Anlagen zu mieten oder gar in Form von Mini-Solaranlagen an den Balkon zu heften, gibt es aber bereits.
Wir brauchen dringend Preissignale für sauberen, zuverlässigen, billigen, in großen Mengen verfügbaren Strom. Thomas L. Friedman
Die dritte Idee ist die vollständige Elektrifizierung des Verkehrs. Autos sollen nur noch mit Hybridantrieb fahren und an Stromtankstellen aufgeladen werden. Je nach Marktpreis könnte das Auto auch Strom verkaufen, also ins Netz einspeisen. Noch ist es nicht so weit, noch dominieren Verbrennungsmotoren die Zulassungsstatistik. Das liegt zum Teil an der Skepsis derer, die dem E-Auto keine Chance geben wollen, auch weil sie sich von Verschwörungstheorien und falschen Behauptungen blenden lassen. Aber der rein elektrische Antrieb ist auf dem Vormarsch. Inklusive der Möglichkeit, Strom aus den E-Auto-Batterien in Elektrogeräte, ins eigene Haus oder ins Stromnetz zurückzuspeisen. Auch die Idee, Meetings virtuell zu veranstalten, um Reisen und Emissionen zu vermeiden, hat sich längst durchgesetzt – mit ein wenig Hilfe eines Virus, das zwischenzeitlich die Welt in Atem hielt.
Fazit: Thomas L. Friedmans Gedanken sind heute noch aktuell, auch wenn sie zum Teil schon verwirklicht wurden. Was es aber nach wie vor braucht, ist der unbedingte Wille, die ökologische Katastrophe aufzuhalten. Und das geht uns alle an, nicht nur die USA. Das galt 2009 und das ist heute noch so.