Jens Andersen hat zum 100-jährigen Firmenjubiläum ein Buch über Lego und dessen Aufstieg zur Weltmarke geschrieben – mit faszinierenden neuen Einblicken, Fotos aus dem Lego-Familienarchiv und zahlreichen Zitaten von Kjeld Kirk Kristiansen, dem Enkel des Firmengründers. Eine spannende Unternehmensgeschichte – nicht nur für Fans der Klemmbausteine.
Wie man Stein auf Stein ein Imperium baut
Natürlich gibt es schon Bücher über Lego. Jede Menge. Aber keines, das die Geschichte des Unternehmens hinter der Weltmarke so detailliert beschreibt und keines mit unveröffentlichten Fotos aus dem Familienarchiv. Autor Jens Andersen muss nicht kleckern, sondern kann klotzen, wenn er in langen Interviews mit dem Gründer-Enkel und ehemaligen Firmenchef Kjeld Kirk Kristiansen wortwörtlich jeden (Lego-)Stein im Unternehmen umdreht und ausgiebige Blicke in die Annalen des Spielzeug-Imperiums wirft.
Alles begann mit Holzspielzeug
Lego ist mit einem Umsatz von rund 8,8 Milliarden Euro der erfolgreichste Spielwarenhersteller der Welt. Andersen betont im Vorwort, dass „jedes Jahr achtzig bis neunzig Millionen Kinder auf der Welt eine Schachtel Lego geschenkt bekommen“ – und obendrein noch rund zehn Millionen Erwachsene sich selbst ein Lego-Set kaufen. Legos Aufstieg zur Weltmarke liest sich fast wie ein modernes Märchen.
Die Lego-Idee enthält die pädagogische Aufgabe, den Menschen zu einer einfachen, zweckmäßigen, rationalen und durchdachten Bauweise zu erziehen.Jens Andersen
Als es in den 1930er-Jahren in der Baubranche keine Aufträge gab, begann Kjelds Großvater Ole Kirk Christiansen (der sich noch mit Ch schrieb) in dem kleinen Ort Billund in Dänemark, nützliche Haushaltsgegenstände wie Bügelbretter, Leitern und Christbaumständer zu produzieren. Da er vier Söhne hatte, kamen Spielzeugautos und Holztiere auf Rädern hinzu. Doch der Verkauf lief schleppend, denn Ole Kirk war zwar ein exzellenter Handwerker, aber kein guter Verkäufer. Die Familie war chronisch pleite. Der Zusammenhalt der Familie in den 30er- und zu Beginn der 40er-Jahre und der tiefe Glaube waren der Grundstein für die spätere Lego-Fabrik.
Lego bedeutet: Spiel gut
Der Name „O. Kirk Holzwaren- & Spielzeugfabrik“ klang schon damals irgendwie langweilig. Das Sortiment musste einen einprägsamen Namen haben. Ole Kirk nahm die Anfangsbuchstaben der beiden Worte „LEg GOdt“, was „Spiel gut“ bedeutet. Der Name Lego wurde erstmals 1936 verwendet. Doch damals herrschte Holzmangel. Der Visionär Ole Kirk sah sich nach anderen Materialien um. Bakelit und Plastik galten als die Wundermaterialien der Zukunft. 1947 brachte Ole Kirk von der britischen Industriemesse kleine, ziegelartige Plastiksteine der Firma Kiddicraft mit, die hohl waren und außen Noppen hatten. Kjeld Kirk Kristiansen betont im Interview mit Andersen, dass Lego nie behauptet habe, der Erfinder der Bausteine gewesen zu sein: „Schon in den Dreißigerjahren wurde überall auf der Welt mit Steinen experimentiert, die oben Noppen hatten; sie waren aus Holz, Gummi, Ton oder Plastik.“
Die Holzfabrik wird geschlossen und ein Freizeitpark eröffnet
1956 wurde die Lego Spielwaren GmbH in Deutschland gegründet. Bereits 1958 kauften die Deutschen mehr Lego als die Dänen, zumal sie glaubten, Lego-Steine seien ein deutsches Produkt. Doch es gab ein technisches Problem: Die Legosteine fügten sich nicht fest ineinander und die Bauwerke der Kinder stürzten beim Anheben zusammen. Die Lösung waren drei zylindrische Verbindungsröhrchen im Innern der Steine, durch die die Elemente fest ineinandergriffen. Lego ließ sich dieses System 1958 patentieren – und bekam damit ein Alleinstellungsmerkmal, das für die weitere Expansion ungemein wichtig war. Kurz darauf starb Ole Kirk und es kam zu Streitigkeiten unter den Söhnen. Nach langem Gerangel nahm Godtfred den Brand in der Fabrik zum Anlass, die Holzabteilung für immer zu schließen und seinen Brüdern die Firmenanteile abzukaufen. In den folgenden Jahren verzeichnete Lego ein enormes Wachstum. In einem Park für Familien sah Godtfred eine Strategie für neue Absatzwege. 1968 wurde Legoland eröffnet, ein Park, in dem nicht nur Lego-Modelle ausgestellt wurden, sondern auch Ponyreiten und von Ponys gezogene Wagen angeboten wurden. Schon im ersten Sommer herrschte ein enormer Andrang und selbst König Frederik IX. kam vorbei, berichtet Andersen.
Auf strategische Allianzen folgt eine Ausweitung des Sortiments
1969 ereignete sich Einschneidendes: Kjeld, seine jüngere Schwester Hanne und deren Freund hatten einen Autounfall, den nur Kjeld überlebte. Vater Godtfred verfiel in tiefe Trauer und büßte seinen Elan ein. Es war Zeit für einen Generationenwechsel: Kjeld und sein Team von jungen Führungskräften wollten etwas ganz Neues ausprobieren, um den Verkauf zu verbessern. Dazu gehörte auch die Ausdifferenzierung des Sortiments nach Zielgruppen, zum Beispiel in Lego Duplo und Lego Technic. 1983 schloss Lego eine Vereinbarung mit McDonaldʼs und lieferte nicht nur das Spielzeug für das Happy Meal, sondern auch einen lebensgroßen Clown aus Legosteinen für alle Filialen in den USA und Kanada. Solche Co-Promotion wurde eine neue Form des aus Lego-Marketings, die im Lauf der 80er-Jahre ausgebaut wurde.
LEGO Mindstorms wird trotz seines hohen Ladenpreises ein gewichtiger Erfolg.Jens Andersen
Zugleich wurde das Sortiment stark erweitert. Statt 145 Sets pro Jahr in den 70ern gab es nun 246 aus Lego-Sets, berichtet Andersen. Geradezu revolutionär waren die neuen, Ende der 1970er-Jahre herausgebrachten Lego-Minifiguren, die erstmals Gesichter und bewegliche Arme und Beine hatten und Rollenspiel ermöglichten. Damit konnte Lego endlich auch bei Mädchen punkten.
Die Steine werden digital
In den 1990er-Jahren drängte elektronisches Spielzeug auf den Markt. Lego durfte den Anschluss nicht verlieren. Kjeld entwickelte gemeinsam mit dem amerikanischen Informatiker Seymour Papert Lego Technic Control. Später wurde daraus das wichtigste Lego-Produkt der 1990er-Jahre: Mindstorms. Trotzdem ging Lego durch ein Tal der Tränen. Das Unternehmen machte 282 Millionen Kronen Verlust. Neue Lego-Sets mit zu speziellen Einzelteilen wurden zu wenig gekauft und holten die Kosten der Entwicklung nicht wieder rein. Als dann auch noch McKinsey-Berater Massenentlassungen propagandierten, ging in Billund die Angst um. Das Unternehmen suchte und fand einen Finanzvorstand, der das Messer auch beim Management ansetzte und tiefgreifende Umstrukturierungen durchsetzte. Fünf Jahre Schlingerkurs endeten an der Schwelle des neuen Jahrtausends mit einem folgenschweren Deal: Lego setzte ab sofort auf Lizenzprodukte und schloss einen Vertrag mit Lucas Film. Die Star-Wars-Sets verkauften sich wie geschnitten Brot. Im Dezember 1999 krönte das amerikanische Magazin Fortune Lego zum „Spielzeug des Jahrhunderts“.
Die fünfte Generation steht in den Startlöchern
2023 wurde Thomas Kirk Kristiansen in vierter Generation der neue „aktive Eigentümer“ und Vorsitzender der Lego Group. Kjeld kümmerte sich fortan mehr um die Lego Foundation, ein Stiftungsfonds mit stattlichen 15 Milliarden Kronen, der sich weltweit für das kindliche „Recht auf Spielen“ einsetzt. Unterm Strich könnte man sagen: Lego hat alles richtig gemacht. So sieht es auch Jens Andersen. Sein Buch ist eine wahre Fundgrube an Insider-Informationen – auch wenn man ihm vorwerfen könnte, dass er zwar detailverliebt, aber vergleichsweise nüchtern Fakten an Fakten reiht. Auch nach Kritik muss man in Andersens Buch lange suchen. Er schildert zwar auch Krisen, konzentriert sich aber vor allem auf Erfolge und Turnarounds. Meist erfahren die Leser und Leserinnen nur, was die Protagonisten getan haben, weniger, was sie dachten oder was sie bewegte. Das Persönliche kommt eher kurz in dieser dennoch sehr lesenswerten Unternehmensbiografie.