Was uns den Rest geben könnte
Megathreats

Was uns den Rest geben könnte

Nouriel Roubini hat die Weltfinanzkrise von 2008 vorausgesagt. Nun legt er nach und warnt gleich vor zehn schweren Krisen. Manche Gefahren übertreibt er, doch es bleibt allemal genügend Katastrophenpotenzial.

Zehn ist eine runde Zahl. Und so bietet es sich an, zehn Megabedrohungen zu identifizieren – das klingt nach einer kompletten Liste. Allerdings würden ein paar weniger auch schon reichen, um unser Wirtschaftssystem und – schlimmer noch – unsere Welt ernsthaft zu gefährden und uns zu vernichten. Tatsächlich hätte die Beschränkung auf maximal sechs Megathreats dem Buch gutgetan.

Der Autor Nouriel Roubini ist Volkswirt und einer der wenigen Ökonomen, die die Finanzkrise von 2008 korrekt voraussagten. Er war in der Amtszeit von Präsident Bill Clinton Wirtschaftsberater des Weißen Hauses und des US-Finanzministeriums. Insofern blickt er durch die Brille der USA auf die Weltwirtschaft. Dass er in der Türkei geboren wurde und in Italien aufwuchs, dürfte immerhin zu einem tieferen Verständnis für den Rest der Welt beitragen. Doch die US-zentrierte Sichtweise dominiert.

Vieles deutet auf eine Krise des Kapitalismus hin

Als Volkswirtschaftler sieht Roubini die Sphäre der Wirtschaft und der Finanzmärkte besonders differenziert und erkennt hier gleich vier bis fünf Megathreats: erstens Schulden und Spekulationsblasen, zweitens Staats- und Firmeninsolvenzen, drittens billiges Geld, viertens die große Stagflation. Vielleicht kann man fünftens auch das Thema Währungsschmelze hinzuzählen. Die Argumente sind differenziert und durchaus schlüssig, drehen sich jedoch häufig im Kreis und wiederholen sich.

Wir sehen uns Bedrohungen gegenüber, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat – und diese Bedrohungen hängen eng miteinander zusammen.Nouriel Roubini

Nicht-Volkswirten mag sich die Frage aufdrängen, wo denn genau der Unterschied zwischen all diesen Megathreats liegt. Immer wieder tauchen Elemente wie Überschuldung, zu niedrige Zinsen, zu hohe Risiken, Inflation, Stagnation, Spekulation und Zahlungsunfähigkeit auf. Und all diese Faktoren können in eine Schulden-, Weltwirtschafts-, Währungs- und Finanzkrise führen – wahrscheinlich eine Mischung davon. Roubini erwartet, dass sie schlimmer sein wird als alles, was wir bislang erlebt haben, und dass sie unvorstellbare Werte vernichten wird. Diese dicht verwobene Gemengelage aus vier oder fünf Gefahren könnte man auch gut so zusammenfassen: Es droht eine große Kapitalismuskrise.

Hat der US-Dollar als Leitwährung ausgedient?

Die Währungsschmelze tanzt freilich ein wenig aus der Reihe. Hier geht es um die Funktion des US-Dollars als globale Reservewährung. Die USA selbst, so Roubini, schwächen das weltweite Vertrauen in ihren Dollar, indem sie ihn als Waffe instrumentalisieren. Statt vornehme Zurückhaltung und Neutralität zu wahren, wie es sich für eine Leitwährung gezieme, würden Finanzsanktionen gegen Russland beschlossen und Auslandsreserven der russischen Zentralbank eingefroren. Das verschrecke viele Staaten und Anleger und lasse sie nach Ausweichmöglichkeiten suchen. Unterdessen arbeite der Erzrivale China daran, seine Währung, den Renminbi, als Dollar-Alternative anzubieten. Der Euro komme nicht infrage, weil die EZB zu viele von der Politik vorgegebene, zentralbankfremde Ziele verfolge. Und die gehypten Kryptowährungen fallen gemäß Roubini sowieso aus, denn sie würden massiv von Kriminellen genutzt.

Die Welt der Kryptofinanz besteht überwiegend aus betrügerischen Schneeballsystemen.Nouriel Roubini

Allerdings ist diese Megabedrohung hauptsächlich ein Problem der USA, weil es um deren eigene Währung geht, die ihren privilegierten Status verlieren könnte. Für alle anderen ist der Dollar eine Fremdwährung. Es wäre zwar eine Umstellung, aber keine Katastrophe, wenn eine andere Währung seine Rolle übernehmen würde. Es ist davon auszugehen, dass die Finanzmärkte auf eine Alternative ohnehin nur umschwenken würden, wenn es sie gäbe und wenn sie verlässlich genug wäre.

Sozialpolitischer Sprengstoff, wohin man schaut

Weitere Megathreats sind eher schon als eigenständige Gefahren anzusehen. Der demografische Wandel beispielsweise wird zu einer ernsten gesellschaftspolitischen Herausforderung. Ungelöst ist, wie immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner finanzieren sollen. Hier liegt sozialer Sprengstoff.

Rechtspopulistische Umtriebe demagogischer Globalisierungsgegner bedrohen unsere demokratischen Strukturen. Dabei machen unsere größten Probleme nicht an Staatsgrenzen halt. Mit Nationalismus und Protektionismus können wir nur verlieren. Wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit denn je, so Roubinis Plädoyer.

Große Sorgen bereitet zudem die Rivalität zwischen den USA und China um die globale Vorherrschaft. Sie ist längst zum kalten Krieg geworden und droht etwa in der Taiwan-Frage zum heißen Krieg zu eskalieren – politischer Sprengstoff im wahrsten Sinn des Wortes.

Erstmals seit mehr als einem Jahrhundert sehen sich die Vereinigten Staaten einem neuen Gegenspieler gegenüber, der entscheidende natürliche und wirtschaftliche Ressourcen kontrolliert. Ich erwarte kein Happy End.Nouriel Roubini

Ob hingegen künstliche Intelligenz der Megathreat ist, den Roubini zu sehen glaubt, lässt sich gegenwärtig schwer beantworten. Zwar haben Forscher festgestellt, dass KI fast jeden zweiten Arbeitsplatz in den USA überflüssig machen könnte. Doch andere Studien besagen, dass nur 9 Prozent aller Berufe der Automatisierung zum Opfer fallen. Meist sind es nämlich nicht komplette Berufe, sondern lediglich einzelne Tätigkeiten, die von KI übernommen werden. Indem sie dort eingesetzt wird, wo sie zuverlässiger ist als Menschen, kann KI die betroffenen Arbeitnehmer sogar unterstützen und produktiver machen, letztlich also zu einer Aufwertung ihrer Jobs führen.

Die ultimative Bedrohung ist der Klimawandel

Allein der Klimawandel scheint unausweichlich. Viel zu wenig wird dagegen unternommen, beklagt der Autor. Dabei gab es erste Warnungen bereits 1965. Inzwischen bekommen wir die tödlichen Folgen zu spüren – und die sind erst der Anfang. Weite Teile der Erde werden durch Überflutungen oder durch Hitze und Dürre unbewohnbar werden. Hunderte Millionen, vielleicht sogar Milliarden Menschen werden zu Klimaflüchtlingen. Die Konsequenzen sind kaum auszumalen.

Kein Wunder, dass junge Menschen gegen den Klimawandel auf die Straße gehen, denn sie werden die furchtbaren Folgen zu tragen haben, wenn die gegenwärtigen Politiker schon längst unter der Erde sind.Nouriel Roubini

Nach Schätzungen müssten wir ab sofort 2 bis 6 Prozent des Welteinkommens in Maßnahmen gegen den Klimawandel stecken, wenn wir die internationalen Klimaziele noch erreichen wollen. Das ist uns offenbar zu teuer. Lieber steuern wir auf diese Megabedrohung zu, die unsere Welt zerstören kann. Junge Menschen, die dagegen protestieren, werden als Kriminelle und Klimaterroristen verunglimpft. Künstliche Intelligenz ist harmlos gegen unsere natürliche Dummheit.

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