Wir müssen den menschengemachten Klimawandel stoppen. Das ist schlicht eine Frage des Überlebens und darum alternativlos. Doch wie weit darf die Politik hier gehen, wie viel Freiheit einschränken, um dieses Ziel zu erreichen? Diese Frage steht im Zentrum des Buches Demokratie im Feuer von Jonas Schaible.
Mit einer wehrhaften Klimademokratie die Klimakatastrophe abwenden
Eine Ökodiktatur ist für Schaible der falsche Weg. Doch er betont, dass die Demokratie sich grundlegend wandeln müsse: zur „wehrhaften Klimademokratie“. Gemäß dem Spiegel-Redakteur müssen wir alle mit Einschnitten leben, dies sei aber im demokratischen Rahmen – und nur dort – möglich. Das Buch ist ein eindringlicher Appell, endlich echte und wirksame Klimapolitik zu betreiben. Der Autor belegt seine teils aufrüttelnd und emotional formulierten Aussagen mit zahlreichen Beispielen.
Vom Aussterben bedroht: diesmal die Menschheit
Die wissenschaftlichen Fakten zum menschengemachten Klimawandel sind so zahlreich wie erdrückend. Im Buch sind sie nachzulesen. Zum Beispiel: Die Konzentration von CO2 auf der Erde hat sich seit 1900 so schnell erhöht wie in den 56 Millionen Jahren zuvor nicht. Seit dem Fall der Berliner Mauer, also in nur drei Jahrzehnten, haben wir die Hälfte des menschengemachten Ausstoßes an Treibhausgasen verursacht. Die Auswirkungen lassen sich konkret messen: Die Erderwärmung beträgt im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung bereits etwa 1,09 Grad. Wie weit das Thermometer noch steigt, hängt davon ab, welche Entscheidungen wir jetzt treffen, so Jonas Schaible.
Der Weltklimarat sieht eine weite Spanne möglicher Entwicklungen, mit extrem unterschiedlichen Auswirkungen auf unser Leben auf der Erde. Treten wir kräftig auf die CO2-Bremse und geben beim Klimaschutz Vollgas, könnte die Erwärmung in diesem Jahrhundert auf unter 2 Grad begrenzt werden. Dann wäre im Jahr 2300 ein Niveau von 1,5 Grad über dem Beginn der Industrialisierung möglich. Das wäre das Positivszenario. Im Negativszenario, wenn es in diesem Jahrhundert ein Plus von mehr als 3 Grad wird, drohen im Jahr 2400 verheerende 8 Grad Temperaturzuwachs. In einem solchen Szenario würde die Menschheit vermutlich aussterben. Noch können wir dieses Extremszenario abwenden, so Schaible, doch dabei kommt es besonders auf Schnelligkeit an.
Erfolgreiche Klimapolitik ist nicht einfach nur Emissionsreduktion, sondern Emissionsreduktion durch Zeit. Ein Schritt in die richtige Richtung ist ein falscher Schritt, wenn er zu langsam gemacht wird.Jonas Schaible
Denn der Klimawandel ist auch deshalb eine so große Herausforderung, weil für sehr große Veränderungen nur ein äußerst kleines Zeitfenster bleibt. Wenn wir die richtigen Schritte unternehmen, aber dabei nicht schnell genug sind, können wir die Klimakatastrophe nicht mehr aufhalten, warnt der Autor eindringlich.
Einschränkungen hinnehmen, um Freiheit und Demokratie zu retten
Die Klimakrise verschont niemanden. Wir alle werden kleine Freiheiten aufgeben müssen, um uns und nachfolgenden Generationen die große Freiheit zu bewahren, argumentiert Schaible. Wo es heute noch darum geht, den Zug statt den Flieger zu nehmen oder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren, geht es später um die Frage, wo das Leben noch lebenswert ist und ob die Landwirtschaft die Bevölkerung noch ernähren kann.
Kommt nämlich der Klimawandel ungebremst, dann sieht der Autor schwarz für die liberale Demokratie. Wenn Ernteausfälle zunehmen, Grundnahrungsmittel wie Brot drastisch teurer werden, drohen schnell Revolten. Zudem wären viele Menschen auf der Flucht aus nicht mehr bewohnbaren Gebieten. Die wachsende Migration dürfte radikalen rechten Parteien Zulauf bescheren und sie womöglich an die Macht bringen.
Für Schaible ist es vor allem die Politik, die das Umsteuern bewirken kann und muss, zum Beispiel indem sie eine klimaschutzorientierte Wirtschaftspolitik macht. Aktuell verursacht beispielsweise die Landwirtschaft global rund ein Viertel der Treibhausgasemissionen. In der EU kommen die Einkünfte in diesem Sektor aber fast zur Hälfte aus EU-Subventionen – das wäre theoretisch ein starker Hebel für Veränderungen.
Daneben sieht Schaible weitere Möglichkeiten, wie Staaten Einfluss zu nehmen: Sie können die Förderung fossiler Energien genehmigen oder nicht, können Subventionen neu verteilen, ökologische Folgen bepreisen, Zölle verhängen oder klimafreundliche Geldanlagen fördern. Was wir letztlich brauchen, so Schaible, ist eine neue Form von Demokratie: eine „wehrhafte Klimademokratie“.
Die wehrhafte Klimademokratie beschränkt ihre demokratische Gesellschaft als Ganzes, per Beschluss jener demokratischen Gesellschaft, um die Freiheiten aller zu sichern.Jonas Schaible
In einer wehrhaften Klimademokratie, wie der Autor sie skizziert, würde der Staat Klimaschutzmaßnahmen ergreifen und Einschränkungen verhängen, die notwendig sind, um die Freiheit zu erhalten und um Selbstverpflichtungen wie das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Es gäbe weiterhin Wahlen und Meinungsfreiheit, das Parlament wäre die wichtigste Institution. Es stünde allen frei, sich politisch zu organisieren. Auch alle anderen politischen Freiheiten und Rechte, etwa Rede- und Versammlungsfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz oder das Recht auf Freizügigkeit, blieben gewahrt. Die Politik bliebe an das Recht gebunden.
Eine wehrhafte Klimademokratie räumt der Natur eigene Rechte ein
Als Strategien, um eine wehrhafte Klimademokratie zu etablieren, nennt Schaible zum Beispiel die folgenden:
- Wahlrechtsreformen wären ein Schritt, um jungen Menschen mehr politischen Einfluss zu verschaffen. Ihnen ist Klimaschutz in der Regel wichtiger als Älteren.
- Bürgerräte, denen per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger angehören, könnten den Kampf gegen die Klimakrise voranbringen.
- Eigene Klimabehörden könnten Klimaschutzziele mit mehr Nachdruck verfolgen. Wenn sie ein Klage- und ein Vetorecht hätten, könnten sie die Regierung jederzeit verklagen und so systematisch auf Klimaschutz verpflichten oder klimaschädliche Gesetze stoppen.
- In der Gesetzgebung müssten Klimafolgen deutlich ausgewiesen werden. Die Natur müsste in der Verfassung eigene Rechte bekommen. Juristisch ist das höchst komplex, allerdings würde es auf diese Weise wesentlich einfacher, klimaschädliche Handlungen zu sanktionieren.
- Die Verwaltung müsste deutlich effektiver werden. Dazu bräuchten die Behörden sehr viel mehr Personal.
- Die Zentralbanken könnten zum Beispiel bei Anleihenkäufen den Klimaschutz berücksichtigen. Sie könnten auch niedrigere Zinsen ansetzen, wenn Banken Kredite dafür verwenden, Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren.
Jonas Schaible will mit seinem Buch Demokratie im Feuer nicht nur informieren, sondern aufrütteln. Die Szenarien, wie unsere Welt mit einer um 1,5 Grad, 2 Grad oder gar 3 Grad höheren Durchschnittstemperatur aussehen könnte, machen den Handlungsbedarf mehr als deutlich. Schaible betont die Notwendigkeit, dass wir uns in Form einer wehrhaften Klimademokratie zum Verzicht bereit erklären, damit wir auf lange Sicht unsere Freiheit bewahren können.