KI, China, Energie, Zinsen: vier ökonomische Trends unter der Lupe
Wirtschaftliche Zeitenwende?

KI, China, Energie, Zinsen: vier ökonomische Trends unter der Lupe

Volkswirte reiben sich die Augen. Seit Beginn der 2020er-Jahre beobachten sie neue Entwicklungen: die Umstellung der Energieversorgung, die Anwendung von künstlicher Intelligenz, die Abkehr von der Globalisierung, den Anstieg der Zinsen. Vorübergehende Trends oder Zeitenwende? Manuel Rupprecht hat diese Frage zusammen mit anderen Ökonominnen und Ökonomen untersucht.

Energiepolitik wartet auf eine Wende

Die Energiepolitik Deutschlands ist umstritten. Manuel Frondel, Ökonom am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, schildert in seinem Buchbeitrag die Folgen des Ausbaus der erneuerbaren Energien seit 2000. Er kommt zu dem Urteil: Ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben. Der Ausbau sei teuer, bringe aber wenig. Der Autor legt als Maßstab die verbrauchte Primärenergie an. Zu dieser trug im Jahr 2021 Photovoltaik 1,5 Prozent und Windkraft 3,4 Prozent bei. Die Kosten beziffert Frondel auf 600 Milliarden Euro. Zudem stellt er ein vernichtendes Klimazeugnis aus. Durch Wind- und Solaranlagen gesparte Emissionen entstünden anderswo, bedingt durch den Emissionshandel. Der Autor warnt davor, die Ökostromproduktion wie geplant zu verdreifachen. Statt sich auf Erneuerbare zu fixieren, sollten andere Energiequellen erschlossen werden. Durch Fracking etwa wäre heimisches Schiefergas verfügbar. Auch Kernenergie auf dem neuesten Stand ist für Frondel eine Option. Erneuerbare will er dem Markt überlassen. Statt sie zu subventionieren, soll der Staat seiner Meinung nach die Erforschung neuer Energie- und Speichertechnologien fördern.

Klimaschutz braucht Sektorziele

Der Gebäude- und der Verkehrssektor geraten immer stärker in die Klimadiskussion, schreibt Katharina Eckartz, Volkswirtschaftlerin an der TH Köln. Es fehle jedoch an klaren Rahmenbedingungen, kritisiert die Autorin. So habe die Bundesregierung die sektorspezifischen Ziele zur Emissionsminderung aufgehoben. Ein Fehler, wie die Ökonomin findet. Sie fürchtet, dass Verantwortung verwischt wird, statt die Verantwortlichen in den Sektoren zur Eile anzutreiben. Sektorziele hingegen ermöglichten spezifische Instrumente, etwa Subventionen oder Standards, sowie Infrastrukturplanungen.

Eckartz widmet sich auch der Frage der sozialen Akzeptanz. Sie empfiehlt ein sogenanntes Klimageld, um soziale Folgen abzufedern. Es speise sich aus der Bepreisung des CO2-Ausstoßes. Eine Rückverteilung an die Bevölkerung sei nicht unrealistisch, sagt Eckartz, und verweist auf die Kompensation in Österreich. Allerdings gesteht sie ein, dass die deutschen CO2-Einnahmen bereits anderweitig verplant sind. Komme es jedoch zur Erstattung, hält sie den Pro-Kopf-Bonus für den besseren Weg gegenüber einer Steuersenkung. Ärmere Haushalte und Familien würden so besonders profitieren.

Mehr Handelspartner für Deutschland gesucht

Britta Kuhn, stellt in ihrem Beitrag fest, dass die Zeit der China-Euphorie für die deutsche Wirtschaft vorbei sei. Die Volkswirtin von der Hochschule RheinMain diskutiert, welche Wirtschaftspolitik gegenüber China verfolgt werden sollte. Einige Strategien verwirft sie, da sie zu viele Vorteile internationaler Arbeitsteilung vernichteten. Dazu gehört für sie das Decoupling, der Ausschluss Chinas von bestimmten Technologiegütern. Auch dem Reshoring steht die Autorin skeptisch gegenüber. Die Rückverlagerung der Produktion verteuere Güter und Rohstoffe. Zudem warnt sie vor staatlichen Investitionsentscheiden, etwa bei der Industriepolitik. Als gangbaren Weg schlägt sie die Strategie des De-Riskings vor. Die Abhängigkeit von China schrittweise zu reduzieren, führe dazu, nicht erpressbar zu sein. Sie fordert zu mehr Freihandels- oder Rohstoffabkommen mit anderen Ländern auf. Als Hindernisse sieht die Autorin zum einen zu hohe und naive Ansprüche deutscher Politiker an den Rest der Welt. Zum anderen sei nicht erkennbar, dass sich die Unternehmen von China abwendeten.

Sanktionen sind besser als ihr Ruf

Die Wirkung von Wirtschaftssanktionen wird unterschätzt, sagt Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung. Zwar haben die meisten sanktionierten Länder, inklusive Russland, politisch nicht eingelenkt. Das heiße aber nicht, dass Sanktionen wirkungslos seien. Petersen verweist zum einen darauf, dass wirtschaftliche Schäden in der Regel eintreten: Einkommen, Produktivität und Versorgungslage im Zielland verschlechtern sich. Zum anderen nennt er die wichtige Botschaft, die Sanktionen an andere Länder senden: Wer selbst Wohlstandsverluste hinzunehmen bereit ist, wie die sanktionierenden westlichen Länder, sende ein klares Signal statt nur Absichtserklärungen. Dem Autor zufolge können Sanktionen verhindern, dass andere Länder einen ähnlichen Weg gehen.

Sparen lohnt sich weniger als vor der Zinswende

In einem weiteren Kapitel des Buches widmet sich der Volkswirt Manuel Rupprecht dem Anstieg der Leitzinsen in Europa im Jahr 2022. Aus seiner Sicht keineswegs eine Zeitenwende. Denn die Zinswende habe die Situation für Sparerinnen und Sparer nicht verändert. Zwar sei das höhere nominale Zinsniveau weithin begrüßt worden – gerade nach einem Jahrzehnt der Niedrig-, Null-, gar Negativzinsen. Doch Überraschung: Weil die Inflationsrate noch stärker gestiegen ist, haben viele nicht bemerkt, dass ihr Guthaben seitdem sogar stärker an Kaufkraft verloren hat als im Schnitt der Jahre zuvor. Auch Anleihen, Fonds und Versicherungen verloren dem Autor zufolge real an Wert. Sparen mit diesen Instrumenten lohne sich seit 2022 nicht mehr, sondern weniger. Der Ökonom leitet daraus ab: Wer Geld übrig hat, sollte es anders anlegen. Bei langem Zeithorizont, so empfiehlt er, solle man auf Aktien setzen. Denn nur mit ihnen ließen sich seinen Analysen zufolge positive reale Erträge erzielen. Ob es gelingt, der Geldentwertung ein Schnippchen zu schlagen, hängt demnach von der Struktur des Anlagevermögens ab.

KI-Einfluss auf den Arbeitsmarkt ist offen

Mit dem Chatbot ChatGPT drängt seit 2022 künstliche Intelligenz in den Arbeitsalltag vieler Berufe. Jörn Quitzau untersucht die Frage, ob der KI-Trend zulasten der Arbeitsplätze geht oder eine Welle des Wohlstands auslösen wird. Der Chefvolkswirt der Schweizer Privatbank Bergos neigt nach Auswertung von Studien und bisherigen Erfahrungen zu einer optimistischen Sichtweise. Berufe, die nur zu einem kleinen Teil automatisierbar sind, hält er für wenig gefährdet. Kurzfristig könnte KI dem Autor zufolge Arbeitskräftemangel und die Wachstumsschwäche lindern. Dem positiven Szenario stellt der Ökonom aber auch mögliche negative Entwicklungen gegenüber. Schlimmstenfalls sorge KI für so raschen Wandel, dass die meisten sich nicht anpassen könnten. Gelinge es den Maschinen noch dazu, die künftigen Wertschöpfungsgewinne einzustreichen, würde die Entlohnung vieler Berufe sinken. Damit wäre die Finanzbasis des Sozialstaats gefährdet – und damit auch die Kompensation der KI-Verlierer.

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