Das Bauernsterben ist ein globales Problem. Allein in der EU fallen täglich über tausend Landwirtschaftsbetriebe einer irrsinnigen Agrarpolitik sowie dem Gebaren der gierigen Agrarindustrie zum Opfer. Doch am Ende sind nicht nur sie die Leidtragenden, sondern die gesamte Menschheit.
Grenzenlose Gier: warum die Agrarindustrie uns allen schadet
Bartholomäus Grill ist wütend. Wütend auf die Politik, wütend auf die unendlich gierigen Großkonzerne und wütend auf korrupte Machteliten, um nur einige Beispiele zu nennen. Und der Autor weiß, wovon er spricht. Grill wuchs in einer landwirtschaftlich geprägten Familie auf und bezeichnet sich selbst als „Bergbauernbub“. Auf diese Kindheit greift er auch im Rahmen seiner Argumentation zurück. Später studierte er Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte und arbeitete danach als Journalist.
Sündenbock Brüssel
Zu Beginn von Bauernsterben nimmt Grill die Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit – in eine Zeit, in der Kunstdünger ein Fremdwort war, Fleisch vor allem an Festtagen auf den Tisch kam und es in Westdeutschland noch knapp 1,4 Millionen Landwirtschaftsbetriebe gab. „Die Vorfahren wirtschafteten nachhaltig, auch wenn damals niemand dieses Wort gebrauchte, der schonende Umgang mit den Ressourcen war ein ungeschriebenes Gebot“, erinnert sich Grill. Diese Epoche endet jedoch in den 1960er-Jahren. Verantwortlich dafür ist Grill zufolge – neben dem zunehmenden Einsatz von Chemikalien – vor allem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit Sitz in Brüssel. Zwar ruft diese zunächst Garantiepreise aus und sorgt damit für deutlich höhere Einkommen der Bauern. Allerdings steigt damit auch die Überproduktion über Jahre hinweg ins Unermessliche.
Die Agrarmarktordnung der EWG hatte vor allem eines bewirkt: eine irrsinnige Überproduktion.Bartholomäus Grill
In den 1980er-Jahren zieht die EWG dann die Reißleine und legt Strafabgaben bei der Überschreitung vorgegebener Maximalmengen fest. Das Einkommen der Bauern sinkt und immer mehr vorwiegend kleinere Betriebe streichen die Segel. „Wachse oder weiche!“, fasst Grill das Credo der Eurokraten zusammen. Und der Plan geht auf: Im Jahr 2022 gibt es in Deutschland nur noch 256 000 Landwirtschaftsbetriebe. Bleibt also umso mehr vom Brüsseler Subventionskuchen für jeden noch aktiven Bauern – sollte man zumindest meinen. Doch der Autor belehrt seine Lesenden eines Besseren: „Unter den 25 Topempfängern findet sich kein einziger Landwirt!“. Stattdessen sahnen vor allem Ministerien, Behörden, Kommunen und Agrarverbände ab, erklärt Grill.
Grills Zorn auf die Agrarpolitik im Allgemeinen und den Subventionsdschungel der EWG bzw. EU im Speziellen zieht sich wie ein roter Faden durch das erste Drittel des Buches. Manchmal schießt er dabei jedoch etwas über das Ziel hinaus, zum Beispiel, wenn er den ehemaligen EWG-Agrarkommissar Sicco Mansholt als „Teufel“ oder den Ex-Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle als „dicken, glatzköpfigen Mann im Trachtenanzug“ beschreibt. Derlei Schüsse unter die Gürtellinie wären gar nicht nötig, wo doch die Fakten allein für sich sprechen.
Das Bauernsterben ist ein globales Problem
Nachdem sich Grill an der europäischen Agrarpolitik abgearbeitet hat, folgt der wohl stärkste Teil des Buches, in dem er die globalen Facetten des Bauernsterbens beleuchtet. Grill berichtet von den dramatischen Folgen der anhaltenden Dürre und der Wasserknappheit im südlichen Afrika, die er selbst in seiner jahrelangen Tätigkeit als Afrikakorrespondent nicht nur einmal hautnah miterlebt hat. Er zeigt auf, wie rückständig die Landwirtschaft in weiten Teilen Afrikas ist, was in Kombination mit einem starken Bevölkerungswachstum immer wieder zu Hungersnöten und Verteilungskämpfen führt. Und er schildert die Mechanismen des sogenannten Landgrabbings, bei dem sich industrielle Konzerne, multinationale Großinvestoren oder einheimische Landlords fruchtbare Böden aneignen. Damit rotten sie nicht nur ganze Dörfer aus, sondern kassieren auch noch Milliardensubventionen dafür ein.
Natürlich darf auch ein Blick nach Brasilien nicht fehlen, wo derzeit einer der laut Grill „verheerendsten Agrarkriege der Welt“ tobt. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass die globale Nummer eins unter den Rindfleischexporteuren im Rekordtempo Regenwaldflächen abholzt und damit auch immer mehr Ureinwohner ihrer Heimat beraubt, ist das Land auch für den großflächigen Einsatz von Herbiziden bekannt, so Grill. Kaum besser ist ihm zufolge die Lage auf den Philippinen. Dort machen neben Hitzewellen auch korrupte Politiker und global agierende Agrarkonzerne den Kleinbauern das Leben zur Hölle.
Die Philippinen liefern ein Paradebeispiel für den Kampf um Land und das Grundrecht auf Nahrung.Bartholomäus Grill
Grill betrachtet all das nicht nur aus der Ferne, sondern auch vor Ort. So besucht er etwa einen Maisbauern in Sambia, berichtet vom Schicksal einer Bäuerin in Äthiopien und spricht mit einem aus dem Süden Amazoniens vertriebenen Ureinwohner über die gesundheitlichen Gefahren von Ackergiften. Das macht die Nöte in den betroffenen Regionen für den Leser förmlich spürbar und lässt ihn mitunter fassungslos zurück.
Weniger Land, mehr Fleisch
Fassungslos sind vermutlich auch viele, wenn sie lesen, dass nur gesetzlich zertifizierte Getreide-, Obst- und Gemüsesorten für den Handel zugelassen sind und vier globale Megakonzerne das Saatgut weltweit kontrollieren. Oder, dass aufgrund der Auslaugung der Böden durch Monokulturen immer mehr fruchtbares Ackerland unwiderruflich verloren geht.
Deutlich bekannter sind hingegen die schädlichen Auswirkungen des Fleischkonsums. Nicht nur, dass der Flächenbedarf für die Erzeugung tierischer Lebensmittel laut Grill deutlich höher ist als der für die Produktion von Obst und Gemüse, auch die Umwelt wird ihm zufolge durch die Unmengen an Gülle, die dadurch entstehen, enorm in Mitleidenschaft gezogen.
Eine der schwerwiegendsten Auswirkungen dieses Konsummusters lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Fleisch frisst Land.Bartholomäus Grill
Im letzten Kapitel beschäftigt sich Grill mit der Frage, wie man dem Dilemma entkommen könnte. Die von ihm vorgestellten Lösungsansätze reichen von einer totalen Abkehr von einem Großteil der Landwirtschaft über eine „mikrobielle Revolution“, also die synthetische Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelrohstoffen, bis hin zu einer Rückbesinnung auf die ressourcen- und klimafreundliche Nahrungsmittelerzeugung vergangener Zeiten. Auch die Digitalisierung kann laut Grill dazu beitragen, die Landwirtschaft effizienter und umweltschonender zu gestalten. Als Beispiele führt er den Einsatz von Drohnen und Robotern oder Analyse-Apps an. Das größte Hindernis für umfassende Reformen sieht Grill allerdings im fehlenden Veränderungswillen der „korrupten Machteliten“.
Wir alle sind Teil des Systems
Bauernsterben schafft es, die Leserschaft mitzureißen und ihr dabei zwischen den Zeilen immer wieder vor Augen zu führen, dass wir alle dazu beitragen können, die Missstände der globalen Agrarindustrie zu beseitigen. Vor allem dadurch, dass wir unsere Konsum- und Ernährungsgewohnheiten kritisch hinterfragen. Auch wenn man Grill teilweise ein gewisses Schwarz-Weiß-Denken vorwerfen könnte – die vorwiegend guten „Agrarkrieger“, wie er sie nennt, gegen die ausnahmslos bösen Machteliten dieser Welt –, braucht es vielleicht gerade das, um aus einem guten Buch mit wichtiger Botschaft ein fesselndes zu machen.