Erfolg auf die stille Art
Der Klügere denkt nach

Erfolg auf die stille Art

Martin Wehrle ist Karriereberater und äußerst erfolgreicher Sachbuchautor. In Der Klügere denkt nach outet er sich erstmals als sensibler und schüchterner Zeitgenosse und zeigt, dass dies kein Makel ist. 

Wer schüchtern ist, hat es nicht immer leicht und muss häufig gut gemeinte Ratschläge über sich ergehen lassen – zum Beispiel, mehr aus sich herauszugehen oder kommunikativer zu sein. Das weiß Martin Wehrle aus eigener Erfahrung. Doch statt sich diese mehr oder weniger klugen Empfehlungen zu Herzen zu nehmen, empfiehlt er den Betroffenen genau das Gegenteil, nämlich die Qualitäten hinter der vermeintlichen Schwäche zu erkennen und zu ihrer stillen Art zu stehen.

 

Zurückhaltende Menschen fahren ohne Blaulicht durchs Leben. Sie machen in der Öffentlichkeit nicht gern auf sich aufmerksam.

Martin Wehrle

Das bedeutet jedoch nicht, dass schüchterne Zeitgenossen nicht auch an sich arbeiten sollten. Wehrle, der sich selbst als introvertiert bezeichnet, gibt in seinem Buch dazu viele praktische Tipps. Wie beispielsweise die „Reporter-Methode“. Bei dieser schlüpfen zurückhaltende Menschen in ungeliebten Small-Talk-Situationen gedanklich in die Rolle eines Reporters, der sein Gegenüber interviewt. Das, so Wehrle, befreit nicht nur von der Angst, selbst im Mittelpunkt stehen zu müssen, es ermöglicht den Betroffenen zudem, authentisch zu bleiben und oberflächliches Blabla zu vermeiden.

Praxistipps wie dieser schaffen nicht nur einen echten Mehrwert für den Leser, sondern machen dank Wehrles lebendiger Sprache sowie seinem Wortwitz auch richtig Laune. Oft bekommen dabei die „Schaumschläger“, „Großmäuler“ und „Phrasen-Hasen“ gehörig ihr Fett weg.

In Bewerbungsgesprächen und Meetings können ruhige Menschen durchaus punkten

Wehrles Buch ist ein Mutmacher für allen stillen Menschen. Sie müssen nicht lauter, oberflächlicher und prahlerischer werden, um mit den Vielrednern Schritt zu halten. Oft ist es sogar zielführender, auf Lautstärke mit Besonnenheit zu reagieren. Übrigens bekommt der Leser auch die Chance, sich selbst hinsichtlich seiner Neigung zu introvertiertem Verhalten und Hochsensibilität zu testen. Es gibt im Buch einen „Temperament-Schnelltest“ mit acht prägnanten Fragen und zudem noch einen ausführlicheren „großen Temperaments-Test“.

Weitere Kapitel beschäftigen sich mit den speziellen Herausforderungen für introvertierte Persönlichkeiten hinsichtlich bestimmter Themenfelder wie etwa Bewerbung und Job. Bewerbungsgespräche, so Wehrle, sind für zurückhaltende Menschen der blanke Horror, da sie etwas tun müssen, was ihnen von Natur aus schwerfällt: sich selbst zu loben und die eigenen Stärken hervorzuheben. Damit ihnen das gelingt, präsentiert Wehrle zehn Trümpfe, die leise und hochsensible Kandidaten in Bewerbungsgesprächen ausspielen können. Dazu gehören unter anderem Selbstanalyse, Beharrlichkeit, Einfühlungsvermögen sowie eine gute Vorbereitung.

Doch nicht nur Bewerbungsgespräche sind wahre Minenfelder für ruhige Zeitgenossen, auch die Teilnahme an Meetings und Brainstorming-Runden gehört nicht unbedingt zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Hier rät ihnen Wehrle dazu, einen Doppelgänger ihrer selbst in die Besprechung zu schicken. Zumindest in Gedanken. Dies hilft ihm zufolge dabei, Blockaden zu lösen. Darüber hinaus empfiehlt er, stets mit einer positiven Erwartungshaltung sowie gut vorbereitet in Besprechungen zu gehen.

Auch in stillen Menschen stecken gute Redner

Stille Menschen meiden laut Wehrle oft die rhetorische Herausforderung, obwohl sie durchaus hervorragende Redner sein können. Ihr volles Potenzial können sie abrufen, wenn sie sich mehr auf die Inhalte als auf das Publikum oder den Redeanlass konzentrieren. Wehrle empfiehlt ihnen zudem, die Rede an den Wünschen der Zuhörer auszurichten – analog einem „Pizza-Boten“, der stets nur das liefert, was gewünscht und bestellt wurde.

Sensible Personen sehen die Welt nicht nur durch die „Ego-Brille“, so Wehrle. Gerade deshalb werden sie gebraucht. Aber sie müssen sich von dickhäutigen Menschen abgrenzen, die sie leicht als Mimose abstempeln, übergehen und verletzen können. Damit ihnen diese Abgrenzung gelingt, zaubert Wehrle einmal mehr zahlreiche Empfehlungen aus dem Hut. Beispielsweise können ruhige Menschen ihre Sensibilität dazu nutzen, mögliche Konflikte bereits im Vorfeld anzusprechen. Zudem sollten sie häufiger den Mut aufbringen, unproduktive Gespräch abzubrechen oder Nein zu sagen. Zusätzlich animiert Wehrle die Betroffenen dazu, anderen immer wieder von ihren eigenen Erfolgen und Leistungen zu berichten. Last not least empfiehlt er regelmäßige Auszeiten, um neue Energien zu schöpfen. Mehrere Meetings mit Schwätzern kurz hintereinander müssen einfach nicht sein.

Es ist nicht alles Gold, was brüllt – viele Schwätzer glänzen nur auf den ersten Blick, denn: Wer sein Riesen-Ego wie ein Pokal vor sich herträgt, hat es offenbar nötig, sich selbst großzureden.

Martin Wehrle

Apropos Schwätzer: Wie man diese entzaubert und sich effektiv gegen fiese Angriffe von Maulhelden schützt, verrät Wehrle als Sahnehäubchen im zehnten und letzten Kapitel des Buchs.

Insgesamt bietet Der Klügere denkt nach introvertierten Menschen ein wahres Füllhorn an praxisorientierten Tipps für alle möglichen Lebenslagen, viele davon im Arbeitskontext. Natürlich liegt es letztlich am Leser, ob er diese Ratschläge beherzigt und umsetzt. Manchem wird dies gerade aufgrund seines stillen Naturells nicht unbedingt leichtfallen. Doch wer gewillt ist, an sich zu arbeiten, wird hier viel Hilfreiches dazu finden. Davon abgesehen schafft es Wehrle, ein eigentlich eher ernstes Thema so unterhaltsam und kurzweilig zu präsentieren, dass das Lesen richtig Spaß macht. Prädikat „empfehlenswert“ – das kann man an dieser Stelle ruhig einmal laut sagen.

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