Deutschland hat sich zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. Für dieses Ziel braucht es eine grüne Revolution. Die gute Nachricht: Sie hat bereits begonnen, ist sogar Regierungsprogramm und soll die Jahre bis 2030 entscheidend prägen. Der Wirtschaftsjournalist Horst von Buttlar berichtet von den Frontlinien der Revolution.
Die grüne Revolution hat begonnen
Klimakiller Nummer eins ist Kohlendioxid. Das weiß heute jedes Kind. Es entsteht vorrangig durch das Verbrennen fossiler Energieträger zur Stromversorgung. Es muss also Schluss sein mit Kohle, Öl, Gas. Da aber zumindest in Deutschland auch die Kernkraft wegfällt, wirft das die entscheidende Frage auf: Was tritt an deren Stelle? Horst von Buttlar rechnet in Das grüne Jahrzehnt vor, dass sich der Stromverbrauch Deutschlands von gegenwärtig 500 Terawattstunden pro Jahr bis 2045 verdoppeln wird. Die ursprüngliche Brückentechnologie, die auf billigem russischen Pipelinegas beruhte, ist inzwischen obsolet.
Wir sind die einzige große Industrienation, die parallel aus Kernkraft und Kohle aussteigt.Horst von Buttlar
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Energiewende beschleunigen, mehr Windstrom und Solarenergie. Allerdings konstatiert der Autor, dass die bereits vor 20 Jahren ausgerufene Energiewende, gemessen an ihren Zielen, bislang gescheitert ist. Diesen kognitiven Widerspruch – trotz Scheiterns mehr vom Gleichen – kann auch von Buttlar in seinem Buch nicht auflösen. Der Verweis auf einen forcierten Ausbau von Stromtrassen, Speichern oder Wasserstoffgewinnung durch Elektrolyse dürfte viele nicht überzeugen. Die Frage nach einer sicheren Primärenergieversorgung der größten Volkswirtschaft Europas bleibt von Buttlar schuldig.
Ohne Nachhaltigkeitsstrategie in die Pleite
Revolution heißt, dass die Verhältnisse sich fundamental ändern. Das ist auch bei der grünen Revolution so. Für Unternehmen ist der künftige ordnungspolitische Rahmen von entscheidender Bedeutung. Den leuchtet von Buttlar in seinem Buch gründlich aus. Die Wirtschaft gilt als Verursacherin der Krise und steht dadurch besonders in der Pflicht. Diesen Konsens teilen inzwischen die meisten Akteure. Wer sich dem verweigert, riskiert seine Existenz. Denn ob sich ein Geschäftsmodell künftig rechnet, hängt entscheidend vom Preis der Zertifikate ab, mit denen Unternehmen ihre CO2 Emissionen zu kompensieren haben. Die CO2-Bilanz wird die zentrale betriebswirtschaftliche Kennzahl. Von Buttlar liegt völlig richtig, wenn er feststellt, dass Unternehmen ohne Nachhaltigkeitsstrategie gar keine Strategie haben. Pleiten sind vorprogrammiert. Jobs werden verloren gehen, aber durch neue ersetzt werden, ist sich von Buttlar sicher und verweist auf einschlägige McKinsey-Studien.
Politiker können für die Verhaltenssteuerung drei Instrumente einsetzen: Anreize, Regulierung und Verbote.Horst von Buttlar
Inzwischen verschiebt sich auch die Rechtsprechung. Die Geschichte des peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya verdeutlicht das ganz gut. Er verklagte den deutschen Energieversorger RWE auf 21 000 Euro Schadensersatz. Obwohl RWE nie in Peru aktiv war, führen die Emissionen des Versorgers zum Schmelzen der Gletscher. Das Dorf, aus dem Lliuya kommt, braucht deshalb einen neuen Damm. Da RWE seit seinem Bestehen für 0,47 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, würde ein entsprechender Schadensersatz in oben genannter Höhe fällig. Die Anwältin des Bauern, Roda Verheyen, macht klar, dass sie im Erfolgsfall weitere Ansprüche gegen andere Unternehmen wie zum Beispiel die Autoindustrie geltend machen will.
Eine neue unternehmerische Denkweise
Die großen Techunternehmen wie Meta, Google oder Amazon geben zwar vor, die Welt zum Besseren zu verändern. Doch im Kern haben sie nur eins geleistet: Sie haben die Konsumgesellschaft durch endloses Microtargeting weiter perfektioniert. Ihr Geschäftszweck besteht nicht in der Rettung des Planeten. Anders verhielten sich die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin. Im Projekt „Lightspeed“ entwickelten sie in Rekordzeit einen Impfstoff gegen Covid-19. Sie riskierten alles und sorgten für eine medizinische Revolution. Gründer mit einer vergleichbaren Einstellung gibt es inzwischen eine ganze Reihe. So kam der deutsche Start-up-Monitor 2020 bereits auf 6000 „grüne“ Neugründungen. Die häufigsten Themen sind Cleantech, Greentech und Climate Tech. So sorgt die Dekarbonisierung der Wirtschaft für eine neue Denkweise – und zusammen mit dem landestypischen Erfindergeist für ein Jobwunder.
Ohne Verzicht und anderes Verhalten wird es nicht gehen.Horst von Buttlar
Die Transformation fordert eine neue Rolle des Staates, die über Regulierung und Subventionen weit hinausgeht, stellt von Buttlar fest. Politisch geht es darum, alle Menschen für lange Zeit auf ein Ziel festzulegen. Das erfordert eine Neuausrichtung der politischen Kommunikation. Das bisherige Versprechen, trotz zyklischer Krisen auf lange Sicht für wachsenden Wohlstand zu sorgen, hat ausgedient. Es ist nicht mehr haltbar. Die Politik steht vor der Herausforderung, Wohlstandsverlust und Verzicht zu vermitteln. Ähnlich verhält es sich mit der Freiheit: Wenn sie bedeutet, so weiterzuleben wie bisher und die Atmosphäre weiter zu erhitzen, dann ist die Freiheit künftiger Generationen höher zu bewerten. Heutige Entbehrungen und Opfer werden ihnen das Überleben sichern. In seiner aktuellen Rechtsprechung deklarierte das deutsche Bundesverfassungsgericht im April 2021 genau das als „Recht auf Zukunft“.
Wie jede Krise weckt auch die Klimakrise starke Emotionen. Sie produziert Gewinner und Verlierer. Verantwortungsbewusste Entscheidungen aber beruhen auf nüchternen, zutreffenden Lagebeurteilungen. Für diesen Zweck ist Das grüne Jahrzehnt eine unschätzbare Quelle. Das Buch macht deutlich, wo die Chancen und Risiken liegen, welche Geschäftsmodelle Aussicht auf Erfolg haben, welche Investments sich im grünen Jahrzehnt lohnen könnten und was der Beitrag jedes Einzelnen ist.