Während staatlichen Institutionen immer mehr internes Wissen verloren geht, füllen sich die der Kassen der Consultingfirmen schon seit Jahrzehnten im Rekordtempo. Eine gefährliche Entwicklung, sagt die Starökonomin Mariana Mazzucato. Gemeinsam mit ihrer Doktorandin Rosie Collington deckt sie die skrupellosen Machenschaften der Branche auf und zeigt, wieso sich dringend etwas ändern muss.
Das mächtige Geschäft
Eins ist sicher: Die beiden Autorinnen Mariana Mazzucato und Rosie Collington und die Beraterbranche werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Und nach diesem Buch dürfte das auf Gegenseitigkeit beruhen. Schließlich werfen sie der Branche vor, „Bauernfängerei“ zu betreiben oder zu einem nicht unwesentlichen Anteil für „Dysfunktionalitäten in Staat und Unternehmen weltweit“ verantwortlich zu sein.
Mazzucato ist als Autorin keine Unbekannte. Bereits 2014 sorgte die Professorin für Innovationsökonomie und Public Value am University College London mit ihrem Buch Das Kapital des Staates für Furore. Weniger bekannt ist bislang Rosie Collington, die derzeit als Doktorandin an Mazzucatos Institute for Innovation and Public Purpose tätig ist.
Die Verdummung des Staates
Das Autorinnenduo nimmt in Die große Consulting-Show: Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt bereits im Buchtitel kein Blatt vor den Mund und legt den Finger immer wieder in Wunden, die die Consultingbranche der Gesellschaft entweder selbst zugefügt oder skrupellos zu ihrem eigenen Vorteil genutzt hat.
Besonderes Augenmerk legen die beiden dabei auf den öffentlichen Sektor. Der sagenhafte Aufstieg der großen Consulting-Show ist ihnen zufolge eng mit den Namen Margaret Thatcher und Ronald Reagan verknüpft. Beide Politiker hatten in den 1980er-Jahren ihre große Zeit und agierten im Sinne des Neoliberalismus, zu dessen Grundpfeilern die Liberalisierung der Märkte, grundlegende Verwaltungsreformen sowie die Privatisierung staatlicher Unternehmen gehören. Die Rolle des Staates begrenzt sich hingegen auf die Sicherstellung geeigneter Rahmenbedingungen. Der Siegeszug des Neoliberalismus kam für die Beraterbranche einer Goldgrube gleich, so Mazzucato und Collington.
Der Consultingbranche eröffnete der Neoliberalismus neue Geschäftsmöglichkeiten in Wirtschaft und Politik.Mariana Mazzucato und Rosie Collington
Berater werden seither zunehmend in Projekte und Entscheidungen öffentlicher Institutionen eingebunden. Und nicht nur das: Sie können so auch mitbestimmen, wer mit den auszulagernden Aufgaben betraut werden soll – in der Regel natürlich Unternehmen, die ebenfalls ihre Kunden sind. Darüber hinaus nehmen Berater immer mehr die Rolle interner Verwaltungsmitarbeitender ein. Aus alledem resultiert den Autorinnen zufolge eine Vielzahl von Problemen: Abgesehen von möglichen Interessenkonflikten führt die Ausgliederung öffentlicher Aufgaben an private Unternehmen oder Berater auch dazu, dass staatliche Institutionen immer mehr Fachwissen verlieren; entweder weil sie bereits vorhandenes nicht nutzen oder weil sie so auch keine Möglichkeit mehr haben, neues zu erwerben. Dadurch werden nicht nur Innovationsentwicklungen erschwert, sondern auch demokratische Grundprinzipien untergraben, so Mazzucato und Collington. Zudem sichert es der Beraterbranche weitere lukrative Folgeaufträge. Anders formuliert: Die staatlichen Verwaltungen werden immer dümmer und unselbstständiger, während sich die Berater munter ihre Taschen vollstopfen – meist ohne konkrete Mehrwerte zu schaffen oder im Falle des Scheiterns zur Verantwortung gezogen zu werden.
Gefährliches Spiel
Das wahre Ausmaß dieses Dilemmas offenbarte sich etwa zu Beginn der Covid-19-Pandemie, erklären Mazzucato und Collington. Viele überforderte Regierungen des globalen Nordens gaben Unsummen für vermeintlich erfahrende Berater aus, die allerdings auf diesem Gebiet ebenfalls zu wenig Expertise hatten. Allein in Frankreich wurden den Autorinnen zufolge sechs Consultingunternehmen für den Start der dortigen Impfkampagne beauftragt – und insgesamt 11 Millionen Euro spektakulär in den Sand gesetzt. Am erfolgreichsten meisterten die Situation hingegen diejenigen Verwaltungen, die aufgrund vorheriger Epidemien auf das eigene für die Krisenbewältigung notwendige Wissen zurückgreifen konnten. Exemplarisch führen die Autorinnen den indischen Bundesstaat Kerala, Vietnam sowie Ruanda an.
All diese Beispiele zeigen, dass die jeweiligen Regierungen auf die Krise besser vorbereitet waren, weil sie mit internen Ressourcen und eigenem Wissen vormalige Herausforderungen bewältigt hatten.Mariana Mazzucato und Rosie Collington
Aber auch die allgemeine Sicherheit ist laut Mazzucato und Collington durch den von der Consultingbranche angefeuerten Outsourcingwahn in den staatlichen Institutionen in Gefahr. So zeigten etwa die Enthüllungen von Edward Snowden, wie stark Berater und private Unternehmen mittlerweile in geheime Militär- und Sicherheitsoperationen involviert sind und welche Risiken damit verbunden sind.
Den Bock zum Gärtner machen
Das Erschreckende an diesem Buch ist, dass Mariana Mazzucato und Rosie Collington keine haltlosen Behauptungen aufstellen, sondern jedes erwähnte Vergehen belegen können. Allein das Anmerkungs- und Literaturverzeichnis umfasst über 50 Seiten. Als Leser oder Leserin stellt man sich gelegentlich gar die Frage, ob die Beraterbranche auch jemals etwas Gutes zustande gebracht hat. Spoiler: Diese Frage bleibt gänzlich unbeantwortet.
Dafür liefert das Kapitel „Klimaschutz-Consulting“ Antworten darauf, weshalb Robert Habeck, seines Zeichens deutscher Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Mariana Mazzucato als seine Lieblingsökonomin auserkoren hat. Denn das, was die Consultingbranche für teures Geld als Klimaschutz verkauft, soll es Unternehmen den Autorinnen zufolge lediglich ermöglichen, so weiterzumachen wie bisher – nur mit einem grüneren Image.
Klimaschutz-Consulting ist eine sprudelnde Quelle wirtschaftlicher Renten.Mariana Mazzucato und Rosie Collington
Ein beeindruckendes Beispiel: Im Jahr 2007 wurde McKinsey damit beauftragt, zu überprüfen, wie die Entwaldung möglichst kostengünstig reduziert werden könnte. Das Ergebnis war, dass indigene Völker fortan auf traditionelle Brandrodungen verzichten sollten. Die großen Holzkonzerne kamen hingegen unbeschadet davon. Laut Mazzucato und Collington waren einige McKinsey-Kunden zu dieser Zeit auch zufälligerweise in dieser Branche und entsprechenden Gebieten tätig.
Es besteht Hoffnung (oder auch nicht)
Natürlich bleiben auch Verfehlungen der Beraterbranche in der privaten Wirtschaft nicht unerwähnt. Etwa der Enron-Skandal oder der durch McKinsey tatkräftig unterstützte Ruin des Medikamentenherstellers Valeant Pharmaceuticals. Wie sich der Staat und die Privatwirtschaft aus den Fängen der Consultingindustrie befreien kann, erklären die Autorinnen dann im letzten Kapitel des Buchs. Dazu müsste der öffentliche Dienst anpassungsfähige und auf Lernen ausgerichtete Strukturen schaffen sowie in interne Ressourcen und Fähigkeiten investieren. Zudem sollten ihrer Ansicht nach Verträge mit Beratern auch die Übertragung von Wissen an interne Mitarbeitende als Ziel beinhalten. Darüber hinaus fordern sie von Consultingfirmen eine Offenlegungspflicht möglicher Interessenkonflikte, die sich aufgrund anderweitiger Mandate ergeben könnten.
Derzeit zwingen keine bindenden Regeln Consultingunternehmen, offenzulegen, für wen sie tätig sind.Mariana Mazzucato und Rosie Collington
Ob all das eines Tages auch in die Tat umgesetzt wird, ist allerdings mehr als fraglich. Bis dahin bleibt die große Consulting-Show wohl das, was sie gegenwärtig ist: eine gigantische Gelddruckmaschine.
Glühende Verehrer des Neoliberalismus sowie Berater, die sich mit einer durchweg negativen Darstellung ihrer Branche konfrontiert sehen, dürften mit der Lektüre dieses Buchs naturgemäß ihre Probleme haben. Allen anderen sei Die große Consulting-Show jedoch wärmstens ans Herz gelegt – auch wenn man vor Empörung über das skrupellose Gebaren der Consultingbranche und die Borniertheit ihrer Auftraggeber manchmal gern in den Buchdeckel – bzw. E-Book-Reader – beißen möchte.